Mittwoch, 7. Februar 2007

Die Muttergottes-Erscheinungen von Heede im Emsland

Heede, EmslandDrunten im flachen Emsland, der Landschaft, in der man halb zerfallene, aber wohl auch noch tätige Windmühlen antrifft, ist das kleine Dorf Heede mit vorwiegend landwirtschaftlicher Bevölkerung der Schauplatz einzigartiger Ereignisse seit dem Jahre 1937. Am Allerheiligenfest dieses Jahres, an dem fromme Beter abends beginnen, für die Armen Seelen dem sog. Toties-quoties-Ablaß in mehrfachen Besuchen des Gotteshauses sich zu widmen, waren zwei 12- bis 14jährige Mädchen von Heede zur Kirche gegangen, die mit dem Pfarrhof und einer kleinen Gruppe bäuerlicher Anwesen etwa 300 Meter abseits vom eigentlichen Ort liegt. In einer der üblichen Gebetspausen blieben die beiden beim Turm der Kirche stehen, und sahen dabei in den rings um die Kirche liegenden Friedhof.
Da plötzlich faßte das eine der Mädchen das andere an und sagte: "Du, dort steht ja die Muttergottes!" Das andere Mädchen sagte in echter Natürlichkeit: "Du bist ja verrückt!", sah aber dann in die angegebene Richtung und erkannte ebenfalls die Muttergottes, die mit dem Jesuskind auf dem Arme in etwa 25 Meter Entfernung vor drei Cypressenbäumen etwa 1 Meter über der Erde auf einer weißen Wolke stand. Die Mädchen verharrten eine Weile so, dann wurde ihnen ängstlich zu Mute und nun liefen sie, so ganz nach Kinderart, davon, dem Dorfe zu. - Zwischen Kirche und Dorf am Wege steht ein Denkmal für die Gefallenen aus dem ersten Weltkrieg. In dessen Nähe kamen ihnen zwei andere, gleichaltrige Mädchen entgegen, die zur Kirche zum Gebet wollten und denen sie ihr Erlebnis sofort sagten. Zu viert entschlossen sie sich nun zurückzugehen, und vom Turm aus sahen nun alle vier die Gottesmutter an der vorherigen Stelle. - Das war der Anfang der mystischen Vorgänge.
Und nun geben wir dem seinerzeitigen Pfarrer von Heede, Rudolf Diekmann, das Wort, indem wir einen Bericht von ihm hier folgen lassen, den er mit dem Datum vom 29. Juni 1941 herausbrachte, um anfragende Interessenten damit zufrieden zu stellen. Es sei vorausgeschickt, daß dieser Bericht somit in der Zeit der Nazi-Macht fiel und daß er mit Rücksicht auf die Familien der 4 Kinder und zu ihrem Schutze vor der Gestapo an manchen Stellen berechtigte Vorsicht walten läßt. Wir werden in Klammern einiges ergänzend hinzufügen im Interesse besseren Verständnisses. -

Der Bericht des Heeder Pfarrers lautet:

"Heede an der Ems, 29. Juni 1941.
"Zur Aufklärung!
Über die Erscheinungen in Heede sind allerlei falsche Gerüchte im Umlauf. Da man solchen Gerüchten nur mit der Wahrheit entgegentreten kann, so stelle ich Ihnen folgenden kurzen Bericht, der wahrheitsgemäß ist, zur Verfügung. Einem kirchlichen Urteil soll damit nicht vorgegriffen werden.
Am 1.11.1937 sahen 4 Mädchen aus Heede im Alter von 12 bis 14 Jahren, Anni Schulte, Grete Ganseforth, Maria Ganseforth und Susi Bruns, die Erscheinung. Die Erscheinungsstelle ist etwa 25 Meter nördlich des Kirchturms zwischen drei Lebensbäumen (Cypressen) auf dem Kirchhofe, welcher die im Jahre 1484 erbaute, erweiterte Pfarrkirche umgibt. Die Kinder schildern die Erscheinung übereinstimmend, wie folgt:
Etwa 1 Meter über der Erde steht die Muttergottes. Unter ihr ist eine blauweiße Wolke. Die Füße sind nicht zu sehen. Auf dem Haupte trägt sie eine reich verzierte goldene Krone ohne Edelsteine. Die Form stimmt mit keiner bisherigen überein. Bekleidet ist die Muttergottes mit einem weißen Gewande, das um die Hüften mit einer etwa 1 Zentimeter dicken Kordel gegürtet ist. Auf dem Kopfe trägt sie oben einen undurchsichtigen Schleier, durch die Krone teilweise verdeckt, von weißer Farbe. Das Haar ist nicht sichtbar. Gewand und Schleier fallen in einigen Falten senkrecht bis herab auf die Wolken. Die Ärmel des Gewandes gehen etwa in doppelter Armweite bis zum Handgelenk. Gewand und Schleier haben keine Verzierung. Die beiden Enden der Kordel reichen auf der rechten Seite bis etwa 30 Zentimeter über der Wolke herab. Auf der linken Hand, die durch den Schleier verdeckt ist, sitzt das Jesuskind in aufrechter Haltung. Es hat ein weißes nicht verziertes Kleidchen an; die Füße sind unbekleidet. - Die Ärmel des Kleidchens reichen bis zum Ellenbogen. Das Haupt ist unbedeckt. Die Augen sind bei Mutter und Kind blau. Die Haare des Kindes sind blond, oben leicht, unten reichlich gelockt und reichen bis über die Ohren herab. In der rechten Hand trägt das Jesuskind eine goldene Kugel, aus der ein goldenes Kreuz herausragt. Kugel und Kreuz sind ohne Verzierung. Die Muttergottes legt ihre rechte Hand leicht gelockert auf die Kugel, sodaß das Kreuz zwischen Mittel- und Ringfinger sichtbar hindurch ragt. Das Alter der Mutter schätzen die Kinder auf 19 Jahre, das des Kindes auf ein bis zwei Jahre. Mutter und Kind schauen die Kinder an. Die Erscheinung steht in einem hellen Schein, der rundum etwa 30 bis 40 Zentimeter die Gestalt der Gottesmutter als eine Helligkeit ohne deutliche Strahlen umgibt.
So erschien die Gottesmutter von da an bis zum 3.11.1940 in kürzeren und längeren Zeitabständen und zwar im ganzen an 105 Tagen. Der Gesichtsausdruck war im allgemeinen freundlich, manchmal lächelnd, manchmal auch, besonders anfangs 1940, ernst. Bei andächtigem Beten, Singen, auch wenn die Kinder das hl. Kreuzzeichen machten, und als sie am Fest Mariä Namen sagten: "Wir gratulieren Dir zum Namenstag!", wurde die Erscheinung glänzender und freundlicher. Am zweiten Tag, an Allerseelen 1937, und am Gründonnerstag 1938 erschien sie ohne das Jesuskind mit ernstem Gesichtsausdruck.
Die ersten Erscheinungen waren täglich. Vom 1.11 bis 13.11.37 erschien sie mit besonders ernstem Gesichtsausdruck. Sie segnete die Kinder so, wie der Priester segnet. Am folgenden Tage, Sonntag, dem 14.11.37, morgens in aller Frühe wurden die Kinder auf Veranlassung der weltlichen Behörde (Gestapo) nach der Landesheil- und Pflegeanstalt Göttingen (Irrenanstalt) gebracht. Bei dem mehrwöchigen Aufenthalt erwiesen sich die Kinder als gesund. Versuche, die suggestiv zu beeinflussen, um sie dadurch von ihrem vermeintlich "abwegigen Verhalten" abzubringen, waren vergebens. Die Kinder wurden dann (am Tag vor Weihnachten) zu einem vierwöchigen Aufenthalt in das Marienhospital zu Osnabrück gebracht (um sich zu erholen). Ende Januar 1938 durften sie nach Heede zurückkehren.
Erscheinungen hatten die Kinder während ihrer Abwesenheit von Heede nicht. Nach ihrer Rückkehr durften die Kinder (nach Weisung der Gestapo) wohl die Kirche besuchen und dabei den Weg über den Kirchhof nehmen. Es war ihnen aber streng verboten, die Erscheinungsstelle auf dem Kirchhof aufzusuchen. An dieses Verbot haben sie sich auch gehalten. (Den Kindern war von der Gestapo angedroht worden, wenn wieder so etwas vorkäme, würden sie entweder wieder nach Göttingen in die Irrenanstalt gebracht oder mitsamt ihren Familien nach dem Osten verpflanzt. Unter diesem schweren Druck standen die Kinder bei den dann folgenden Ereignissen.)
Die Kinder haben jedoch bald nach ihrer Rückkehr die Erscheinung, zuerst am 2.2.1938 von den hinter ihren Häusern liegenden Wiesen aus nicht weit vom Kirchhof, Grete und Susi, zunächst auf der alten Erscheinungsstelle auf dem Kirchhof wieder gesehen. Da der Heeder Friedhof etwa 2 Meter höher liegt, als seine Umgebung, ist die Stelle, besonders im Winter, wenn die Bäume kein Laub haben, einige hundert Meter weit sichtbar.
Der bisherige Ortspfarrer hatte inzwischen aus wichtigen Gründen seine Stelle aufgegeben. (Die Gestapo hatte seine Versetzung gefordert!) Der Nachfolger war noch nicht eingetroffen. Der zu dieser Zeit in Heede anwesende Pfarrverweser hat von dieser neuen Erscheinung während seiner Anwesenheit nichts erfahren.
(Es sei zur Ergänzung noch berichtet, daß in den ersten 14 Tagen der Erscheinungen ein täglich wachsender Menschenstrom nach Heede kam, sodaß am 13.11.37 wohl weit über 10'000 Fremde in Heede weilten und die Straßen rings durch Fahrzeuge aller Art ziemlich verstopft waren, sodaß an sich Anlaß war, durch einen polizeilichen Ordnungsdienst den Verkehr zu regeln, jedoch kein Anlaß, die Kinder wochenlang in eine Irrenanstalt zu setzen.)
Die Kinder fühlten sich innerlich gedrängt, jeden Abend in geringerer oder größerer Entfernung vom Friedhof zu beten. Es wurde im allgemeinen hierzu die Abendzeit ausgewählt, weil sie nur so ihre Zusammenkünfte verheimlichen konnten und weil sie auch am Tage durch Schule und Arbeit verhindert waren. Die Erscheinung zeigte sich in geringeren und größeren Zeitabständen.
Die Kinder sahen nicht immer alle vier die Erscheinung, auch wenn sie alle zugegen waren. Manchmal sah sie nur ein Kind, manchmal zwei, manchmal drei und manchmal alle vier. Die Kinder haben sich dann wohl gefragt, ob wohl die Schuld bei ihnen läge, wenn sie die Gottesmutter nicht sahen. Sie konnten sich jedoch darüber nicht klar werden. Es kann wohl angenommen werden, daß eine gewisse Bevorzugung der einzelnen Kinder ein Trost im Leiden und ein Ansporn zum Guten sein sollte. -
Zuweilen sahen die Kinder erst den Schein und dann die Gottesmutter, manchmal auch nur den Schein. Eines Tages sahen sie die Gottesmutter aus ziemlich großer Entfernung auf dem Friedhof stehen. Da baten sie:
"Wenn Du von Gott bist, so komm doch näher!"
Darauf schwebte die Erscheinung etwa 70 Meter näher zu ihnen heran. In der Folgezeit erschien die Gottesmutter öfter, auch näher bei den Häusern, in denen Ganseforth und Schulte wohnen, doch immer erschien sie in der Gegend zwischen diesen Häusern und dem Friedhof.
Wenn für die Kinder die Möglichkeit bestand, ohne Gefahr näher zum Friedhof hinzugehen, dann zeigte sich die Erscheinung auch nur, wenn die Kinder näher zum Friedhof hingingen, sodaß sie immer wieder zum Friedhof zurückgeführt wurden, wo sich die Gottesmutter später auch verabschiedete.
Die Dauer der Erscheinung betrug 3 bis 30 Minuten. Wenn die Erscheinung sich auch an verschiedenen Stellen zeigte, so ist doch nie beobachtet worden, daß sie gleichzeitig an mehreren Stellen erschien, obwohl die Kinder manchmal getrennt waren und sich gegenseitig nicht verständigen konnten. (Es wurden außer dem Friedhof 15 verschiedene Erscheinungsstellen vermerkt.) In der dreijährigen Zeit der Erscheinungen hat sich mit Sicherheit ergeben, daß äußere oder persönliche Einwirkungen auf die Kinder nicht vorlagen. Die kirchlichen Oberen und die zur fraglichen Zeit in Heede angestellten Geistlichen haben sich der Sache völlig ferngehalten, sodaß ihr Verhalten allgemein als Ablehnung aufgefaßt wurde, auch von den Nächstbeteiligten.
Die Kinder sind einfache Landkinder, fromm und unverdorben, aber ohne besonders hervortretende außergewöhnliche Tugenden, mit kleinen Fehlern, wie sie im allgemeinen dem Kindesalter eigen sind. (Es ist beiläufig interessant, daß die Kinder charakterlich die vier Temperamente repräsentieren.)
Wie haben sich nun die Kinder bei den Erscheinungen verhalten?
Wenn sie vorher beim Beten standen, fielen sie ziemlich plötzlich auf die Knie. Die Haltung war dabei auffallend gerade, die Augen starr gradaus gerichtet, sobald die Erscheinung ihnen sichtbar war. Aus Zeugenaussagen hat sich ergeben, daß die Kinder dabei manchmal für äußere Sinneseindrücke unempfänglich waren, solange die Erscheinung dauerte. Manchmal nahmen sie aber auch ihre Umgebung wahr, sprachen mit Anwesenden und konnten deren Worte verstehen.
Das Verhalten der Kinder war nicht abhängig vom Wetter. Sie knieten auch bei sehr rauhem Wetter in den sehr kalten Wintern dieser Jahre, sowie bei Schnee und Regen auf dem Boden im Freien.
Die Kinder redeten mit der Gottesmutter und stellten Fragen, wie sie ihrer Auffassung von den Ereignissen entsprachen, z.B. ob sie eine Kapelle oder Grotte bauen sollten, welchen Beruf sie ergreifen dürften. Sie baten um Offenbarung der Erscheinung. Die Antwort entsprach nicht den Erwartungen der Kinder, ihrer Angehörigen und Bekannten. Pfarrer Stahlberg (der von der Gestapo entfernte Vorgänger des jetzigen) hat durch die Kinder in den ersten Tagen der Erscheinungen eine Frage an die Gottesmutter stellen lassen. Eine direkte Antwort darauf ist nie erfolgt. Sonst haben die Geistlichen weder Fragen gestellt, noch veranlaßt. Gesprochen hat die Gottesmutter nur wenige Worte. Das Jesuskind hat auf alle Fragen wohl gelächelt, aber nicht geantwortet.
Es seien jetzt noch die Tage aufgeführt, an denen etwas Besonderes geschah und an denen die Gottesmutter gesprochen hat. Außer den Geheimnissen werden alle Worte hier angeführt.
Am Feste Mariä Himmelfahrt 1938 schwebte die Gottesmutter von der Erscheinungsstelle den um den Friedhof herum führenden Weg entlang in Richtung zur Kirche und zum Pfarrhaus. Sie wurde den Kindern unsichtbar, als sie hinter der Ecke des Pfarrhauses verschwand. – Dieser Vorgang läßt, wie auch einige andere, klar darauf schließen, daß die Kinder etwas sahen, was außerhalb ihrer eigenen Person vorhanden war (also kein Gebilde ihrer eigenen Fantasie!), sonst hätte eine Hausecke ihre Schau nicht behindern können.
Mariä Himmelfahrt 1939 baten die Kinder:
"Mutter, zeige uns Deine Himmelfahrt!" –
Darauf schwebte die Erscheinung nach oben, die Gottesmutter lächelte und segnete, während das Jesuskind mit der linken Hand winkte.
Im Jahr 1938 erschien die Gottesmutter Anni Schulte an zwei Herz-Jesu-Freitagen, als sie auf dem Weg über den Kirchhof ging zur hl. Messe, an der ersten Erscheinungsstelle. Sonst haben die Kinder nach ihrer Rückkehr von Göttingen die Erscheinung nie wieder an dieser Stelle gesehen, obwohl sie doch fast täglich über diese Stelle gingen (abgesehen vom 3.11.40, dem Tage, an dem sich die Gottesmutter verabschiedete).
Am 7.4.1938 hörte Anni die Worte:
"Kinder, betet noch viel!"
Am 12.5.38 fragte Grete:
"Sollen wir Kranke holen?"
Antwort: "Nein, noch nicht!"
Frage: "Sollen wir jeden Abend wiederkommen?"
Antwort: "Ja!"
Am 5.4.39 stellte Maria Ganseforth die bis anhin noch nie gestellte Frage:
"Mutter, als was willst Du verehrt werden?"
Antwort: "Als Königin des Weltalls und Königin der armen Seelen."
Frage: "In was für einem Gebet sollen wir Dich denn so verehren?"
Antwort: "In der lauretanischen Litanei." -
Am 24.10.39 hörten alle vier Kinder die Worte:
"Offenbart alles, was ich euch gesagt habe, den Geistlichen!"
Am 26.1.40 sah Maria die Muttergottes, die sehr traurig aussah und Tränen vergoß. – Auf die Frage:
"Mutter, was hast Du?" antwortete sie: "Kinder, betet!"
Am 29.4.40 sagte Grete:
"Mutter, segne doch die Diözese!"
Darauf segnete die Muttergottes. – An diesem Tage fand die feierliche Weihe der Diözese Osnabrück an die Gottesmutter statt.
Am 13.10.40 sahen alle vier Kinder die Gottesmutter. Als das erste Gesetz des Rosenkranzes gebetet wurde, fielen die Kinder plötzlich auf die Knie, wie sie auch sonst taten, wenn die Erscheinung ihnen sichtbar wurde. – Maria Ganseforth betete laut:
"Gegrüßt seist Du, Königin!"
Dann stellte sie, wie üblich eine Reihe Fragen:
"Sollen wir eine Kapelle bauen oder eine Grotte? Wir wollen es gerne tun. – Mutter, wie schön bist Du!"
Mitten in dem Fragenstellen wurden die Kinder auf einmal stumm. Dieser Zustand hielt etwa 10 Minuten an. – Dann fragte eines der Kinder:
"Mutter, welche Kranke willst Du heilen?"
Antwort: "Ich werde nur diejenigen heilen, die in der rechten Gesinnung kommen!"
(Bis zum August 1943 hat der Pfarrer von Heede, der überaus kritisch und nüchtern denkt und dieser Eigenschaft seine Berufung nach Heede verdankt, fünf Krankenheilungen seiner vorgesetzten Stelle gemeldet, die er natürlicherweise nicht für erklärbar hielt.)
Hierauf beteten die Kinder:
"Mutter, segne unsern Pastor und unsern Kaplan!"
Darauf segnete die Gottesmutter. – Als die Erscheinung verschwunden war, erzählten die Kinder, daß sie während ihres Verstummens eine Botschaft erhalten hatten mit den beigefügten Worten:
"Erzählt dies nur dem Hl. Vater!"
Bei einer späteren Befragung ergab sich zufällig, daß jedes Kind einzeln nacheinander die Botschaft erhalten hatte. Es ist bemerkenswert, daß an diesem Tage niemand etwas Besonderes erwartet hatte. Die Kinder waren in ihrer Arbeitskleidung, sodaß sie sich scheuten, zur Berichterstattung zum Pfarrer zu gehen. Erst auf Drängen der Mutter Bruns sind die Kinder zu ihm gegangen. Die Erscheinung war an diesem Tage auf der Pfarrwiese, etwa 130 Meter vom Friedhof entfernt. Die Kinder sahen sie sehr nahe vor sich.
(Die Botschaft wurde nach einiger Zeit, aber noch während des Krieges, über den Berliner Nuntius dem Heiligen Vater zugeleitet.)
Am 1.11.40 sahen alle vier Kinder die Erscheinung auf der vorgenannten Wiese, jedoch etwa 50 Meter näher zum Friedhof. Es wurde gebetet:
"Segne Du, Maria, segne mich, Dein Kind!"
Die Kinder stellten wieder die üblichen Fragen und baten wiederholt dringend um Segen mit den Worten:
"Segne uns, Mutter! Wir sind Deine Kinder! Wir wollen alles tun, was Du sagst! Sage uns Deinen Wunsch! – Mutter, gib uns noch einmal Deinen Segen! Mutter, tu es doch! – Mutter erleuchte unsern Oberhirten! Mutter, segne unsere Gemeinde! Segne unsere Kranken, Mutter, segne unsere Brüder im Felde! – Mutter, segne alle, die zugegen sind!"
Grete rief zum Schluß:
"Mutter, kommst Du wieder?"
Antwort: "Ja!"
Am 3.11.40 sahen die Kinder zum letzten Mal die Gottesmutter und zwar alle vier Kinder auf der ersten Erscheinungsstelle auf dem Friedhof. (Dies ist hier offenbar mit Rücksicht auf die Gestapo ausdrücklich vermerkt, um darzutun, daß die Kinder nicht an der Stelle waren, wo sie sich bei den ersten Erscheinungen 1937 auf dem Friedhof befunden hatten, daß sie also nicht gegen das Verbot der Gestapo handelten.)
Die Kinder stellten wieder viele Fragen. Plötzlich wurden sie stumm. Nach einiger Zeit rief Susi laut:
"Mutter, was bewegst Du die Lippen? Sprich doch lauter! Ich kann Dich ja nicht verstehen!"
Sie wurde dabei ganz aufgeregt. Noch zweimal rief sie so in einigen Zeitabständen. Beim dritten Mal schluchzte sie laut auf. Die Anwesenden fingen gleichfalls an zu weinen, als sie das Verhalten des Kindes sahen.
So wie am 19.10.40 hatte auch heute die Gottesmutter zu jedem Kinde einzeln gesprochen. Die andern Kinder sahen wohl die Bewegung der Lippen, auch wie die Gottesmutter jedem den Segen gab nach seinem Geheimnis, hören aber konnten sie nichts. Zum Schluß sagte die Gottesmutter:
"Dieses Geheimnis sollt ihr für euch behalten und niemandem sagen!"
Die Reihenfolge in der Offenbarung der Geheimnisse scheint gewesen zu sein: Grete, Anni, Maria, Susi. – Nachdem alle ihr Geheimnis und den Segen erhalten hatten, sprach die Gottesmutter zu allen vieren zusammen:
"Nun, liebe Kinder, noch den Segen! Bleibt Gott ergeben und brav! Betet oft und gern den Rosenkranz! Nun ade, liebe Kinder! Auf Wiedersehen im Himmel!"
Grete rief dann:
"Kommst Du denn gar nicht wieder? Mutter, willst Du uns denn gar nicht im Rosenkranzmonat besuchen?"
Antwort: "Nein!"
(In Heede wird der November als Rosenkranzmonat begangen.)
"Mutter, gib uns den Segen!" riefen die Kinder und erhielten auch den Segen.
"Segne auch die ganze Geistlichkeit!"
Auf diese Bitte hin wurde von Ihr der letzte Segen erteilt.
"Mutter, wir danken Dir!" riefen die Kinder unter heftigen Tränen der scheidenden Mutter nach. Auch die übrigen Anwesenden waren gerührt, einige weinten.
Die Kinder gingen sofort ins Pfarrhaus und berichteten dem Pfarrer. Sie machten einen auffallend ernsten Eindruck. Grete konnte auch jetzt die Tränen nicht ganz zurückhalten. – Sie meinte, sie hätte doch noch so viel zu fragen. Bevor sie weggingen, baten sie die Geistlichen um den Segen, was dort ganz ungewöhnlich ist und die Kinder bisher noch nie getan hatten. Zu Hause waren sie in den nächsten Tagen auch noch ganz niedergedrückt.
"Hätte sie mich doch mitgenommen!" sagte eine von ihnen. – –
Soweit der tatsächliche Hergang!

Die Auswirkungen der Ereignisse sind, soweit man sie erkennen kann, gut. Die Kinder, ihre nächsten Angehörigen, ihre Gemeinde und auch ihre nähere und weitere Umgebung sind religiös gefördert. Besonders hat die Marienverehrung einen mächtigen Auftrieb erhalten. Jeder Katholik wird sich dem Urteil der Kirche, das jetzt noch nicht gesprochen ist, unterwerfen. Einstweilen steht es jedem frei, sich seine Meinung darüber zu bilden. Die Anrufungen "Königin des Weltalls" und "Königin der armen Seelen" dürfen wenigstens privatim gebraucht werden. Heilige und gelehrte Menschen haben schon viel Schönes über den Inhalt dieser Anrufungen gesagt und geschrieben.
gez. Rudolf Diekmann, Pfarrer."

Im Frühjahr 1946 wurde die kirchliche Prüfung der Ereignisse von Heede durch das Ordinariat Osnabrück veranlaßt. Da die mystischen Ereignisse mit dem Abschied der Gottesmutter am 3.11.40 nicht, wie es zunächst schien, ihren Abschluß fanden und auch zur Zeit noch andauern, sei noch soviel mitgeteilt, daß eines der vier Mädchen, Grete Ganseforth, als Sühneseele auserkoren ist und eines ganz außerordentlichen Verkehrs mit der Übernatur gewürdigt wird. Der Heiland erscheint ihr als Kind, mit dem sie spielt, wie einst St. Antonius, und als Mann, der zahlreiche Ansprachen an sie gerichtet hat, die zu Buße und Gebet auffordern, vor allem für die armen Sünder, und viele geistige Anregungen enthalten. Engel verkehren mit ihr, und auch der Teufel macht sich immer wieder bemerkbar in einer Weise, daß man merkt, wie sehr ihm an der Zertrümmerung des in Heede aufkommenden Guten liegt. Die Gottesmutter erschien nicht mehr in persönlicher Gestalt, sie spricht jedoch zuweilen aus einem hellen Schein zu Grete. So hat sie das Bild, das von Professor Klaas, Münster, genau nach den Angaben der Kinder gemalt wurde und ihre Erscheinung mit dem Jesuskinde wiedergibt, in einer Ansprache an Grete in der jetzigen Form bestätigt.
Von Interesse ist, daß die im Jahre 1824 gestorbene gottselige Seherin Anna Katharina Emmerich aus Dülmen in Westfalen für ihr Heimatland einen großen Wallfahrtsort in der Zukunft angekündigt hat. Und der im Jahre 1912 verstorbene Pfarrer Zurlag in Neubörge bei Ems, der im Rufe eines Mystikers stand, soll 1905 geschrieben haben – wir haben es selbst nicht nachprüfen können in seinen Schriften –: "Kleines Heede im Emsland, wirst noch einmal weltberühmt werden!" Allem Anschein nach wird Heede ein Wallfahrtsort mit der Hauptgebetsmeinung "Bekehrung der armen Sünder", und unter diesem Gesichtspunkt kann man gut verstehen, wenn der Teufel alle Hebel in Bewegung setzt, die Pläne Gottes und Seiner heiligsten Mutter zu durchkreuzen. Es ist wohl Aufgabe aller Gutgewillten, die zu Erkenntnissen in der Frage Heede gelangt sind, auf der geistigen Ebene mitzuwirken, daß der Hölle solches nicht gelingt und die Sache der Regina Universorum, der Königin des Weltalls, und Ihres göttlichen Kindes den Sieg davon trägt!


Hymne an die Königin der Armen Seelen
von Maria-Josefa D--n

Wer leiht mir hohe Gedanken,
Die nur um die Hehre sich ranken?
Wer gibt den Schwung mir der Rede,
Um würdig zu preisen Dich, Mutter von Heede?

Die Kunst dieser Erde, schwach menschlich Bemühen!
Des Seraphs Begeisterung müßte erglühen. -
Doch missest den Willen Du, gütigste Frau,
Und wägst nicht das Werk; darauf ich vertrau.

Wer zog einst den Himmel zur Erde hernieder?
Verknüpfte uns ihm als werthafte Glieder?
Ein holdselig, gnadenvoll Mägdelein,
Tief demütig, makellos, lilienrein.

Dreifaltigkeitsratschluß hat Sie erschaut
Als Mutter des Schöpfers, als Tochter und Braut.
Zur Fürstin des Himmels ward sie erhoben,
Wo selige Jubelchöre Sie preisen und loben.

Doch teilt Sie mit Ihrem Kindelein
Die Wonne, bei Menschenkindern zu sein.
Du glückliches Heede! noch unberührt
Vom Strom dieser Welt, weshalb dir gebührt

Der seltene Vorzug, die Mutter der Gnaden
Zu wissen auf deinen gesegneten Pfaden. -
Vier Kinder, kreuzbrav und von gläubigen Sinnen,
Den Armenseelenablaß zu gewinnen,

Beteiligten sich am frommen Gebete:
Mit Anny und Susi die Schwestern Maria und Grete.
Nach Vorschrift gehen sie ein und aus.
Die Dämmerung webt schon ums Gotteshaus.

Da sehn sie im Freidhof, nur wenig Schritt fern,
Vor dunklen Cypressen die Mutter des Herrn.
Auf blau-weißer Wolke schwebt Sie herab,
Verweilend ob einem vergessenen Grab.

Die Himmlische hüllet ein schneeweiß Gewand,
Vom Haupt wallt ein Schleier. Auf stützender Hand
Ihr Kindlein Sie trägt, den Herrscher der Welt,
Der als Symbol die Erdkugel hält.

Die Schauenden reißt es mit Himmelsgewalt,
Sie sinken aufs Knie vor der edlen Gestalt, -
Kaum mögen den Augen sie trauen;
Doch sehen sie entzückt in die blauen,

Sanft lächelnden Augensterne von Mutter und Kind.
"Gegrüßet seist Du, Maria!" so beten sie geschwind.
Noch immer fassen das Wunder sie kaum;
Lebendige Wirklichkeit ist's, kein Traum!

Die Fürstin ziert ein Diadem, indes beim Sohne
Nur goldige Löckchen bilden die Krone.
Die Rechte der Mutter die Erdkugel deckt,
Und zwischen den zarten Fingern reckt

Ein Kreuzlein von Golde sich deutlich empor.
Die Kinder verharren mit lauschendem Ohr:
Zu hören ist nichts als lispelnder Wind,
Es lächeln nur schweigend Mutter und Kind.

Die Mandorla schwindet; vorüber die himmlische Schau.
Und durch den November, düster und grau,
Läuft schnell von Munde zu Munde,
Das Dörflein beglückend, die selige Kunde.

Und täglich dürfen die Kinder schauen
An gleicher Stätte die Hehrste der Frauen.
Rings betendes Volk, ein schützende Mauer. -
Gehässiger Unglaube steht auf der Lauer.

Am vierzehnten Tage, da greifet er zu
Und störet die Andacht und störet die Ruh.
Ist staatliche Macht noch der Hilflosen Hort?
Sie führet von Heimat und Elternhaus fort

Vier harmlose Kinder, die nichts sonst verbrochen,
Als daß sie begeistert die Wahrheit gesprochen.
Empörung und Trauer im ganzen Land!
Man spricht ihnen ab den gesunden Verstand,

Nach Göttingen geht's, zum Hause der Irren,
So will man die schwachen Mädchen verwirren. -
Doch diese vertrauen sich himmlischer Hut;
Im Leid wächst ihnen Bekennermut.

Wenngleich sie die hehre Frau nimmer sehen,
Sie wollen die Prüfung tapfer bestehen.
Was auch die listigen Gegner ersinnen,
Vier jugendliche Bekennerinnen,

Sie kennen kein Wanken und Weichen;
Der Wahrheit ist dieses ein untrüglich Zeichen.
Da Weihnachten naht, Neujahr zieht ins Land,
Und immer noch sind die Ärmsten verbannt,

Vermittelt der Bischof von Osnabrück
Und führt sie endlich zur Heimat zurück.
Der Unglaube selbst erklärt als Befund
Die Kinder an Leib und an Seele gesund.

Doch wird ihnen drohend bei Strafe verboten,
Je wieder zu weilen im Friedhof der Toten.
Die Machthaber spielten noch weiteren Trumpf:
Drei Lebensbäume sind bis auf den Stumpf

Gefällt über Nacht von wuchtigen Hieben;
So wähnen sie, "Wahnwitz und Spuk" sei vertrieben,
Und endgültig sei es, nach Meinung der Schlauen,
Untrüglich und vollends vorbei mit dem Schauen.

O alte Schlange! elender Wurm!
Hoch ragt der "Elfenbeinerne Turm":
Das Weib hat dir den Kopf zertreten!
Die Wallfahrer strömen nach Heede und beten.

Du Weltalls Königin, hoch sei verehrt!
Durch Deine Macht werd uns Frieden beschert!
Der Armen Seelen Königin Du,
Uns alle führ Deinem Sohne hinzu!

Dienstag, 6. Februar 2007

Das große eucharistische Blutwunder von Rodalben 1952

ZWEI ERSCHÜTTERNDE AUGENZEUGENBERICHTE

1. AUGENZEUGENBERICHT

Mitte Juni berichtete mir eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, daß ein Fräulein Anneliese W. (Wafzig — Anm. d. Red.) in R. (Rodalben — Anm. d. Red.) nach einer wunderbaren Heilung von einem lebensgefährlichen Verkehrsunfall seit Oktober 1951 angeblich „Gottesmutter-Erscheinungen" habe.

Rodalben 1952Anneliese W., heute 26 Jahre alt (dieser Bericht wurde also im Jahre 1952 verfaßt — Anm. d. Red.), war fast 10 Jahre Angestellte einer Bank. Sie ist also keine Schwärmerin, sondern ein Mensch, der sehr nüchtern und sachlich im Leben steht. Gegen die Visionen — einer in ihren Augen „unverdienten Gnade" wehrte sich Anneliese. Als gute Katholikin (im dritten Reich war sie in der schwersten Zeit Führerin der katholischen Jugend) hatte sie eine negative Einstellung zu allen „Privatoffenbarungen und -erscheinungen".
Aber bei ihren Visionen wurde ihr klar gemacht, daß sie auf Erden eine gewisse Mission zu erfüllen habe. Trotzdem war Anneliese sehr zurückhaltend und aus einer gewissen Skepsis heraus hütete sie ihr Wissen um diese Erscheinung und nur der engste Kreis um die Familie hat daran teilgenommen. Selbstverständlich erfuhr davon auch die örtliche Geistlichkeit, die der Anneliese W. bei Androhung von Kirchenstrafen die „Schauungen" untersagt hat. Da man sich aber weiter im Hause der Anneliese W. zu Gebetsstunden versammelte, wurden im Dezember 1951 deswegen die ersten 22 Gläubigen exkommuniziert. Inzwischen wurde über erheblich mehr Katholiken diese Kirchenstrafe verhängt.
Bei den Visionen wurden Anneliese W. bestimmte Aufgaben gestellt. So wurde sie z.B. an eine gewisse Erscheinungsstätte im nahen Walde gerufen, damit auch andere Ortsbewohner zur Gnadenstelle kommen können. Da der Ortspfarrer die Visionen ignorierte und Anneliese W. als hysterisch bezeichnete, ohne sich auch nur ein einziges Mal persönlich davon zu überzeugen, obwohl er wiederholt darum gebeten wurde, kam es öfters zu schweren Tätlichkeiten gegen das Mädchen, weil die örtliche Geistlichkeit die Ortsbewohner zum Einschreiten gegen Anneliese aufgefordert hat. Einmal wurde dabei Anneliese W. blutüberströmt bewußtlos aufgefunden. Dieser Vorfall ist heute noch Gegenstand einer kriminellen Untersuchung.
Im Juni 1952 erklärte die Gottesmutter bei einer Vision, daß sie am 1. und 2. Juli 1952 zum letzten Male der Anneliese W. erscheinen werde. An diesem Tage werde sie sichtbar für alle anwesenden Menschen ein Zeichen geben. Anneliese W. hatte den Auftrag, die Erscheinung im Walde zu empfangen, damit recht viele Menschen Zeugen des Wunders sind. Gleichzeitig sprach die Gottesmutter von einer baldigen Anerkennung dieses Zeichens durch die Kirche und wünschte, daß an diesem Tag nicht nur die Priester anwesend sind, daß auch die breite Öffentlichkeit auf diese Stunde aufmerksam gemacht werde.
Im Juni 1952 schrieb Anneliese W. an die für sie zuständige Kirchenbehörde und bat den Hochw. Herrn Bischof, ihr Gelegenheit zu geben, ihm ihre seelischen Erlebnisse persönlich mitzuteilen. Aber auf diesen Brief traf nie eine Antwort ein.
Das war in großen Zügen das Wesentliche, was mir mein Gewährsmann mitteilen konnte. Ich erfuhr noch, daß einige Geistliche an diesem Tage in R. seien und an dem Geschehen teilnehmen werden.
Nachdem mir zugesichert wurde, daß ich von keiner Seite bei der Ausübung meiner Tätigkeit als objektiver Berichterstatter behindert werde, sagte ich zu und fuhr mit meinem Kollegen am 30. Juni 1952 in die rd. 400 km entfernte Stadt R. (Rodalben), wo Anneliese W. im Hause ihrer Eltern wohnte.
Was wir dort erlebt haben, habe ich in diesem Bericht festgehalten, ist das, was wir persönlich wahrgenommen haben und gleich den andern 60 Zeugen mit unserem Eid bekräftigen können. Als Journalist, der schon über 30 Jahre diesen Beruf ausübt und als evangelischer Christ bin ich mit meinem jungen katholischen Kollegen sehr kritisch an diese Vorgänge herangegangen. Wir haben alle Möglichkeiten eines Betruges offen erwogen, haben die leisesten Verdachtsgründe erörtert und mußten am Schluß bekennen, daß ein Betrug nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen sei.
Unsere Kamera stand einen Meter vom wesentlichen Schauplatz entfernt und die beiden Geistlichen hatten neben und hinter dem Mädchen Aufstellung genommen und unter den 60 z. T. sehr kritischen Anwesenden war keiner, den das Geschehen dieser Nacht erschüttern hätte können.
Ein Kollege, dem ich meinen Bericht gab, schreibt mir u.a. dazu Folgendes: „Professor Einstein hat die Größe des Weltalls berechnet, Professor Heisenberg hat das Geheimnis der Atome entschleiert, Professor Wiener hat "Elektronengehirne" entwickelt, die logischer und schneller denken als Menschen. Wann das Wunder des Lebens endgültig in eine chemische Formel aufgelöst sein wird, wann Menschen ins Weltall emporsteigen und wann sie in dunkelste Tiefen des Meeres hinabtauchen werden, das ist alles nur noch eine Frage der Zeit. Unser Jahrhundert ist nüchtern und wissenschaftlich. Aus ihm scheint das unfaßbare Wunder verbannt zu sein. Können wir denn etwa nicht alles genauestens erklären? Haben wir nicht auf alles eine vernünftige Antwort? Fast scheint es so. Und dennoch ... unsere Zeit ist nur scheinbar so nüchtern, sie ist weiter voll der Geheimnisse, vor denen wir in tiefer Ehrfurcht verharren müssen, weil hier alle menschliche Logik versagt.
Bevor ich Anneliese W. und ihre Eltern kennen lernte, erkundigte ich mich bei der örtlichen Polizei. Dort wurde mir erklärt, daß die Familie an sich den allerbesten Ruf genieße, daß aber die ganze Stadt seit den angeblichen Visionen gegen Anneliese und ihre Angehörigen aufgebracht sei. Auf meine Frage, ob denn dadurch die Stadt und die nichtbeteiligten Bewohner irgend einen Schaden erlitten haben, entgegnete der Polizeichef: „Das nicht, aber die Ortsgeistlichen wollen dem angeblichen Unfug mit allen Mitteln ein Ende bereiten und haben die katholische Bevölkerung aufgefordert, das Treiben der Anneliese Wafzig unter allen Umständen zu unterbinden. Es ist nicht nur der Polizei, sondern im ganzen Ort bekannt, daß heute abend im Wald eine besondere Vision stattfinden soll und da es wahrscheinlich zu Tumulten kommen wird, werde er selbst anwesend sein und einschreiten."
Ich habe mich noch lange mit dem Chef der Polizei unterhalten und ich erfuhr von ihm, daß er zu den Vorgängen in Fehrbach eine positive Einstellung hatte. Die Vorgänge in Rodalben aber lehnte er ab. Ich konnte später feststellen, daß viele seiner Auskünfte unrichtig waren und bewußt entstellt, und als ich das später vorhielt, entschuldigte er die Irrtümer damit, daß er erst 5 Jahre in Rodalben sei und deshalb nicht alles wissen könne.
Nach der Polizei sprach ich im Pfarrhaus vor, aber dort wurde ich mit der Begründung abgewiesen, daß der Presse über diese Vorgänge in Rodalben prinzipiell keine Auskunft gegeben wird.
Am Nachmittag lernte ich dann Anneliese Wafzig, ihre Eltern und Geschwister kennen und ließ mich kurz daruber unterrichten, was wohl am Abend geschehen wird.
Kurz vor 20.00 Uhr traf ich mit meinem Kollegen an der bewußten Stelle im Wald ein. Der Hang selbst und alle Zugangswege waren bereits von Jugendlichen, die sich alle als Mitglieder der kath. Jugendverbände zu erkennen gaben. bevölkert. Das erste Angriffsobjekt war die Presse. Man drohte uns mit Tätlichkeiten und der Wegnahme der Apparate, wenn wir es wagen sollten, auch nur eine Aunahme zu machen. Die Beleidigungen dieser Rowdys waren unglaublich. Auch als der Polizeichef mit einiger Beamten erschien, änderte sich nichts am Verhalten dieser Lausbuben, im Gegenteil, sie wurden noch frecher als sie sahen, daß die Polizei gar nicht daran dachte, uns zu schützen. Erst als am Hang einige Anhänger der Anneliese W. eintrafen und zu beten begannen, wurde die Meute von uns abgelenkt. Nun stürzte man sich auf die Beter und in der zynischsten Weise wurden die Gebete und Kirchenlieder von den Jugendlichen verhöhnt. Nicht ein Erwachsener machte diesen Flegeln klar, daß das übelste Gotteslästerung sei, im Gegenteil, man klatschte hysterisch Beifall, wenn einer dieser Untermenschen eine besonders verächtliche Bemerkung über die Gottesmutter machte. Bei den Betern handelte es sich überwiegend um ältere Leute. Man belegte sie nicht nur mit den übelsten Schimpfworten, man bewarf sie auch mit Sand und Steinen, goß Wasser auf sie und als das alles nichts half, haben diese Bengel zum Gaudium der Erwachsenen ihre Notdurft vom Berg herab auf die Betenden verrichtet. Einen alten Mann, dem jeder ansah, daß er ein Invalider ist, hat man kopfüber den Berg hinuntergeworfen, getreten und geschlagen. Wahrlich, hier spielte der Teufel zum Tanz auf.
Das war aber noch nicht der Höhepunkt dieses einmaligen Infernos! Aus den hundert Gegnern sind inzwischen mehrere Tausend geworden. Anneliese W. und ihre Angehörigen hat man bereits am Stadtrand abgehalten, den Wald zu betreten. Mit den übelsten Schmährufen, die hier nicht wiederzugeben sind, hat man sie tätlich angegriffen. Auch den beiden Geistlichen, die zu der Erscheinungsstelle im Wald gehen wollten, hat man den Zutritt verweigert. Man griff sie tätlich an, stieß sie zurück, zerrte am Habit, bespuckte sie und verhöhnte sie in einer Weise, von der sich ein anständiger Mensch kaum eine Vorstellung machen kann.
Der ältere der Priester versuchte nun den Menschen klar zu machen, daß schließlich ein jeder das Recht habe, sich von der Realität der hier vorgehenden Dinge (Erscheinungen) zu überzeugen. Die Antwort darauf war nur ein noch viel stärkerer Tumult. Keiner der anwesenden Polizeibeamten sprang den Priestern bei. Als die Geistlichen sie ausdrücklich um Schutz baten, schüttelten sie nur den Kopf und meinten: Dieser fanatischen Menge gegenüber sind auch wir machtlos.
Da schritt der Polizeichef ein, aber nicht gegen die tobende Menge, sondern gegen die Geistlichen. „Wer sind Sie überhaupt? Ich muß Sie ersuchen mit auf die Station zu kommen, damit ich Ihre Personalien feststellen kann."
Die beiden Geistlichen zeigten an Ort und Stelle ihre vollständigen Papiere, der ältere dagegen sogar seinen KZ-Ausweis und die amtliche Bestätigung, daß er im Dritten Reich wegen seiner mannhaften Haltung für seinen Glauben zum Tode herurteilt war. Aber der Polizeichef bestand darauf, daß diese Feststellung auf der Station getroffen werden muß. So hatte er einen guten Grund, die beiden Geistlichen wegzubringen und unter dem höhnischen Bejohle der Untermenschen zog er mit den beiden Priestern ab.
Nach einem einstündigen Verhör im Polizeigebäude, wo die beiden Geistlichen auch Strafanzeige wegen Mißhandlung und öffentl. Beleidigung stellten, konnten diese nur mit polizeilicher Hilfe ins Haus der Familie W. gelangen, wobei sie vom Pöbel abermals aufs gemeinste geschmäht wurden.
Vor dem Haus hatte sich um Mitternacht die fanatisierte Menge eingefunden. Sie johlte, schrie, versuchte Zutritt zum Haus zu erreichen und als das unmöglich war, warf man mit Steinen sämtliche Fenster des Hauses ein.
Mein Kollege und ich haben zuerst im Dunkel der Straße die Vorgänge unerkannt beobachtet. Wir sahen nicht einen Polizeibeamten bei einer Amtshandlung. Sie standen gleich neutralen Beobachtern dabei, wie die Menge sämtliche Fenster einwarf. Nur einmal, als einem jungen Menschen, der aus dem belagerten Haus kam, ein Pflasterstein ins Kreuz geworfen wurde und dabei zusammenbrach, daß er ins Haus getragen werden mußte, da wehrte ein Polizeibeamter mit dem Ruf: „Halt meine Herren, das geht zu weit, das ist Körperverletzung!" Aber im höhnischen Gelächter der Belagerer ging diese einzige Amtshandlung unter.
Die Eltern der Anneliese W. sind schlichte und tiefgläubige Menschen. Ihre religiöse Haltung, und auch die ihrer 6 Kinder, zeugt von echter, natürlicher Frömmigkeit. Auch dem Kathol. Pfarramt galten sie als höchst zuverläßig; denn im dritten Reich rettete das Pfarramt wiederholt wichtige Akten vor der Beschlagnahme durch die NSDAP dadurch, daß man dafür ein Versteck im Hause der Familie W. fand. Noch vor den „Erscheinungen" bestätigte der Ortspfarrer schriftlich: „daß sie eine religiöse eifrige und sittlich einwandfreie Familie ist!"
Zu der gleichen Zeit bestätigte auch der Bürgermeister des Ortes der Familie W.: „daß sie einen guten Leumund habe. Nachteiliges hier nicht bekannt ist!"
Unter den rd. 60 Männern und Frauen, die sich in das Haus der Familie Wafzig in dieser Nacht geflüchtet hatten, um vor den Übergriffen der tobenden Menge sicher zu sein, waren alle Berufsschichten vertreten, Akademiker, Beamte, Angestellte und Arbeiter. Darunter auch einige Nichtkatholiken. Die beiden beobachtenden Priester standen neben und hinter Anneliese W., die Vertreter der Presse mit den Aufnahmegeräten ungefähr einen Meter davon entfernt.
30 Minuten nach Mitternacht, während die Anwesenden den „Wunden-Rosenkranz" beteten, sah Anneliese W. in einer Vision (gemäß ihrer Aussage) die Gottesmutter und den gekreuzigten Heiland.
Von dem verklärten Gesicht des Mädchens ging, sichtbar für jeden, ein sonderbares Leuchten aus, dessen Quelle nur in etwas Übernatürlichem liegen konnte. Die Beterin vor dem kleinen Altar schien physisch dem Raum entrückt.
Impulsiv hob Anneliese W. die Arme, als wollte sie einen besonders lieben Menschen recht herzlich begrüßen. Ergriffen verharrten die Beter und das Gebet wurde nur von dem Geräusch des Blitzgerätes und dem unaufhörlichen Klicken der Kamera unterbrochen, denn nüchtern, ohne auch nur dem geringsten fremden Einfluß zu unterliegen, hielt die Kamera jede Phase des Geschehens fest.
Genau so unbestechlich beobachtete der Priester neben Anneliese jede Bewegung des strahlenden Gesichtes.
Anläßlich einer Vision im Juni 1952 bekam Anneliese W. den Auftrag, ein Stück grobes Leinen am 1. Juli 1952 bereitzuhalten. Dieses Tuch soll sie an diesem Tag dem anwesenden Geistlichen geben, der es in seiner Brusttasche tragen muß, bis sie es von ihm während der Vision zurückverlangen wird.
Der Priester bekam das Tuch und da er sofort ahnte, daß es mit dem "für alle Menschen sichtbaren Zeichen" zusammenhängen muß, untersuchte er es gründlich, als er allein war. Er konnte aber nichts Ungewöhnliches daran feststellen.
Als Anneliese W. in jener Nacht von dem Priester das Tuch forderte, nahm dieser es aus seiner Brusttasche, entfaltete es und zeigte es, bevor er es dem Mädchen gab, allen Anwesenden. Auch ich nahm das Tuch, hielt es vor das Licht, rieb es zwischen den Händen und gab es zurück, als ich festgestellt hatte, daß es weder gezeichnet, noch irgendwie präpariert sei.
Der Priester gab es dann, sichtbar für alle Anwesenden der Anneliese Wafzig. Mit verklärtem Gesicht hob sie es zunächst nach links oben, dann neigte sie den Kopf sehr tief und verharrte einen Augenblick in dieser Stellung. Immer war das Tuch für uns alle sichtbar. Hierauf brachte Anneliese W. das Tuch in Brusthöhe, um es kurz darauf mit ausgestreckten Armen wieder in die Höhe zu halten. Hierauf beugte Anneliese W. die Arme, breitete das entfaltete Tuch auf ihren Händen aus und hielt es unter das kleine Brettchen des Altares, wobei sie mit dem Tuch einige seitliche Bewegungen ausführte (nach links und nach rechts) als wolle sie mit dem Tuch etwas auffangen. Die Augen des Mädchens waren dabei aber immer nach oben, niemals auf das Tuch gerichtet.
Darauf faltete Anneliese W. das Tuch wieder zusammen, hielt es zuerst links hoch, drückte es dann ehrfürchtig an ihr Gesicht und küßte es hingebungsvoll. Als sie es dann kurz darauf dem Priester reichte, sank sie langsam in sich zusammen.
Mit Nerven, die zum Zerreißen angespannt waren, verfolgten alle Anwesenden, was sich vor dem kleinen Altar abspielte. Jede Bewegung wurde genauestens beachtet, nicht eine Sekunde lang wurde das Tuch aus den Augen gelassen.
Draußen aber tobte die vielköpfige Menge, die das Haus belagerte. Sie rannten gegen die Haustür und als diese nicht nachgab, flogen abermals Steine ins Zimmer und zertrümmerten die letzten Reste der bereits eingeworfenen Fensterscheiben. Die Wut der Menge steigerte sich zur Raserei und wurde zum Inferno, als mehrere Schüsse durchs Zimmer peitschten. Entsetzt warfen sich einige Betende flach auf den Boden, um sich vor Verletzungen zu schützen. Aber wie ein Wunder blieben alle Anwesenden unversehrt.
Als der Geistliche das von Anneliese erhaltene Tuch mit zitternden Händen auf dem kleinen Altar vor den Augen aller Anwesenden ausbreitete, war darauf ein blutigrotes Herz, aus dem sich ein Blutstrom in einen Kelch ergießt, sichtbar. Ober dem Kelch schwebte eine Hostie mit einem Kreuzzeichen.
Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß, war: Das Tuch muß mit einem bereits vorher bemalten Tuch, auf für uns im Augenblick unerklärliche Weise vertauscht worden sein.

Rodalben 1952Aber ich mußte diesen Gedanken sofort wieder fallen lassen, als ich, und mit mir alle Umstehenden plötzlich sah, wie die anfänglich dünnen Konturen des Bildes, und vor allem die rechte Seite des Kelchfußes, die z. T. überhaupt noch nicht sichtbar war, sich vor unseren Augen verstärkten, wie das Blut erst jetzt, gleich Tinte auf einem Löschblatt, zum Bild ausfloß.
Im Innersten aufgewühlt, drängte ich mich näher heran und sah das Blut noch feucht auf dem Tuch fließen. Vor diesem einwandfrei festgestellten Geschehen mußten auch die letzten Zweifel kapitulieren, denn auf einem vertauschten Tuch hätte das Blut nicht mehr fließen können, wäre es längst eingetrocknet. Die Veränderungen der Bildkonturen waren noch über zwei Stunden lang einwandfrei zu beobachten.
Die beiden Geistlichen und auch der größte Teil der Anwesenden erklärten, daß sie in dem Augenblick, als Anneliese W. das Tuch nach rechts oben hielt, in dem zusammengefalteten und vom Licht gut durchleuchteten Tuch bereits einen blutigroten Flecken wahrnahmen, der sich sichtbar vergrößerte. Um alle Zweifel zu zerstreuen, hat der Geistliche gleich nach dem Geschehen den Altar gründlich untersucht und hat auch uns dazu alle Möglichkeiten gegeben.

Rodalben 1952Erschütternd war die Reaktion auf die Anwesenden. Ein Schauer durchlief die zu tiefst ergriffene und im Innersten aufgewühlte Menge, deren schmerzhafte Beklemmung sich durch ein befreiendes Stöhnen und Schluchzen Luft schaffte. — Und dann fielen sie in die Knie und weinten — weinten vor Freude über die Gnade, die ihnen in dieser Nacht zuteil wurde.

Walther Günther Schreckenbach, Journalist, Effeltricher Straße 77, Nürnberg


2. DAS ZEUGNIS EINES PRIESTERS

AUGENZEUGENBERICHT über die Vorgänge in Rodalben, Rheinpfalz bei Pirmasens, bezüglich der Erlebnisse um Fräulein Anneliese Wafzig, von Pater Gebhard Maria a. S. Laurentio OCD (Heyder Franz)

Zum ersten Male hörte ich von Rodalben und der Familie Wafzig am heurigen Ostertage 1952, als mir eine einfache ältere Person der hiesigen Umgebung einige Briefe von der Cousine und Tante der Anneliese überreichte. Ich wollte die Person schon abweisen und überhaupt nicht anhören, weil ich ziemlich überarbeitet und schon etwas nervös war — es war schon 12 Uhr Mittag, ich hatte noch nicht gegessen, dazu die anstrengenden Kartage. — Ich nahm dann doch die Briefe zu mir und las darin von einem 26jährigen Mädchen, das seit Oktober 1951 Muttergottes-Erscheinungen habe, sich anfangs heftig dagegen gesträubt habe, bis die Himmelskönigin ihr zu wissen gab, daß sie im Falle der Weigerung keine ruhige Stunde mehr im Leben haben werde. Das Mädchen habe im Sommer 1951 einen schweren Unfall gehabt, der sie Monate lang ans Krankenbett fesselte, ihr furchtbare Anfälle verursachte, bis sie am 24. November 1951 durch die Erscheinung der lieben Muttergottes wunderbar geheilt wurde, obwohl sich die Anzahl ihrer Anfälle an dieser Tage bis zu 18 steigerten und alle Fachärzte sie längst aufgegeben hatten. Ich las in den Briefen, die sich im Laufe der nächsten Wochen noch um einige vermehrten, daß A.W. (Anneliese Wafzig) ein sehr liebes, schönes und gutes Mädel sei. Jeder Mensch, der sie sieht, müsse sie gern haben. Sie sei immer sehr sauber und hübsch angezogen. Daraus sehe man, daß sie ein ganz natürliches, normales Mädchen sei. Dann sei sie seit Sommer 1951 mit einem jungen Mann in der Schweiz verlobt gewesen und wollte im Mai 1952 heiraten. Darum hat sie auch zur Muttergottes gesagt: „Komme doch zu meiner Schwester oder zu irgend jemand, nur nicht zu mir." Erst nach schwersten, seelischen Kämpfen habe sie an Weihnachten ihre Verlobung gelöst und sich ganz der Muttergottes angeboten. Ferner habe A.W. schon zwei Mal die Geißelung Christi mitgelitten, das eine Mal 43 Wunden von drei bis fünf cm Länge und einen Finger Breite an den Beinen, und das andere Mal 50 Wunden auf den Rücken erhalten. Auch habe sie die Stigmata Christi, wenn dieselben für gewöhnlich auch nur für sie sichtbar seien. Am Gründonnerstag und Karfreitag 1952 habe sie die ganze Passion Christi mitgelitten, bis sie in den späteren Nachmittagsstunden in eine todesähnliche Ohnmacht fiel, aus der sie ohne natürliche Hilfsmittel wieder erwachte, um schon am Karsamstag Abend noch die Freude des Auferstandenen zu erleben. — Dazu kommt noch, daß A.W. samt ihren Angehörigen und denen, die mit ihr abends gemeinsam in der Familie den Rosenkranz beten, seit 27. Dezember 1951 exkommuniziert sind und zwar ohne daß auch nur ein einziger Geistlicher oder bischöflicher Beauftragter bei ihr gewesen sei. Nicht einmal der Ortspfarrer fand es der Mühe wert, auch nur einmal zu ihr zu kommen, obwohl sie ihn wiederholt bat, vor allem als die Geißelwunden für alle sichtbar erschienen und bluteten. Die Berichte, die das Pfarramt von Rodalben nach Speyer sandte, entbehren daher jeder unmittelbaren Beobachtung und stützen sich z.T. auf die wildesten Straßengerüchte. Die Ortsgeistlichen sagten, A.W. sei verrückt, hysterisch, wie alle, die es mit ihr halten, und es sei lachhaft. Der Fall von A.W. habe plötzlich das bewirkt, was der Herr Pfarrer in den 25 Jahren seines Hierseins nicht fertig gebracht, daß nämlich seine sämtlichen Pfarrkinder nun geschlossen hinter ihm stehen im Kampf gegen dieses Mädchen und seine Angehörigen. Wie wenig jedoch in Wirklichkeit die Rodalbener hinter ihrem Pfarrherrn stehen, und zwar sogar die Auslese der Kolpingssöhne, mag folgendes Zitat aus dem Rundschreiben des Herrn Pfarrers J. Ackermann vom 26. Mai 1952 beweisen, in dem er nochmals versucht, seine „Getreuesten" aus ihrer „Lethargie" (Todesstarre) loszureißen. Wörtlich heißt es da: „Die Kolpingsfamilie Rodalben steht in einer Krise, die ihre Existenz bedroht. Wenn sie ihre Mitglieder zu einer Familienfeier persönlich und schriftlich bittet und die meisten folgen nicht einmal dieser Einladung, so ist etwas faul im Staate Dänemark. So war es nicht nur am 11. Mai, sondern auch bei der letzten Theaterveranstaltung. Wenn zu einer Pflichtversammlung 10 bis 15 Mann erscheinen, so ist da etwas nicht in Ordnung."
Wenn nun aber diese nämlichen Kolpingssöhne einer mündlichen Einladung ihres Präses gegen das „hysterische" Mädchen und seinen Anhang dermaßen einheitlich Folge leisten, daß sie dieses hilflose Menschenkind wie ein Freiwild verfolgen, es verhöhnen, ihm alles Schlechte nachsagen, es mit Steinen bewerfen, bespucken, und am 8. Januar 1952 abends überfallen und halbtot schlagen, — „so ist da auch etwas nicht in Ordnung".
Die Briefe der Verwandten meldeten auch von Erscheinungen der hl. Gemma Galgani und der hl. Maria Goretti. Ferner verhieß die Muttergottes, daß hier noch viele körperlich und seelisch Kranke geheilt würden. Sie ließ dann die Seherin auch den Platz schauen hinter dem Friedhof, wo sie ihr im Freien erscheinen werde, was am 12. und 31. Mai auch geschah.
Bei diesen brieflichen Mitteilungen (die, wie oben erwähnt, nicht an mich persönlich adressiert waren) erging es mir schier wie den Aposteln am Ostertage, als ihnen die frommen Frauen von ihren Erlebnissen am Grabe kündeten: Ihre Mitteilungen kamen ihnen wie Märchen vor, und sie glaubten ihnen nicht. (Lk 24,11) Und doch bewog mich der Ernst und das Leid, das unverkennbar aus den Briefworten sprach, der Sache etwas näher nachzugehen. Am 18. April schrieb ich zum ersten Mal nach Rodalben an Frl. Anneliese Wafzig. Sie antwortete mir erst am 7. Mai. Sie hatte Tage lang überlegt, ob und wie sie mir schreiben sollte, um ja nicht den leisesten Verdacht von Eingebildetheit erwecken zu müssen. Sie drückte aber dann ihre übergroße Freude aus, daß endlich ein erstes Wort von Priesterhand geschrieben an sie gelangte. Sie bestätigte mir die Mitteilungen ihrer Cousine und hob vor allem als Schmerzlichstes hervor: Die Kirche, deren treueste Anhänger und Verteidiger wir sind, hat bedauerlicherweise ganz unkorrekt an uns gehandelt; nämlich, sie hat uns ohne Untersuchung, ohne daß auch nur ein Priester bei uns war, trotzdem wir des öftern darum ins Pfarrhaus schickten, wenn etwas Außerordentliches eintrat, exkommuniziert, der härteste Schlag, den man uns versetzen konnte. Was wird sie jetzt mit uns machen, wenn wir am 12. Mai den Willen der Himmelskönigin erfüllen und hinaus gehen in den Wald?" Sie fügt dann eine Bitte an, ich möchte mich doch ihrer etwas annehmen, da ihr seelisches Leid das körperliche noch um ein gut Stück überwiege.
Dieser und noch ein zweiter Brief ließ in mir den Entschluß reif werden, die ganzen ans Unglaubliche grenzenden Verhältnisse in Rodalben in direkten Augenschein zu nehmen. Ich erbat mir von meinem Adm. Rev. P. N. Provinzial die allgemeine Erlaubnis, ins Rheinland fahren zu dürfen — ohne freilich den näheren Grund bekannt zu geben — und fuhr in der Pfingstwoche nach Rodalben. Ich fand sämtliche Briefmitteilungen bestätigt. Der Vater, ein mittelgroßer Mann in den Fünfzigern ist Meister in der Zwickerei in einer dortigen Schuhfabrik. Er ist rührig von früh bis abends, um seinen sechs Kindern den Lebensunterhalt zu erwerben. Sein stilles, in sich gekehrtes Wesen, das bei allen merklichen Kümmernissen noch gerne ein freundliches Lächeln zeigt, berührt den Besucher angenehm beruhigend. Aber auch er mußte die Gehässigkeit seiner Landsleute, denen er zeit seines Lebens nie Anlaß zu einem Streit gegeben, fühlen. Einzig wegen der außerordentlichen Phänomene seiner Tochter wurde er auf Betreiben von Leuten, die sich durch ihre Zugehörigkeit zu kirchlichen Verbänden in besonderem Grade der Frömmigkeit verschrieben, im Juni als einziger von der Schuhfabrik ausgestellt. Ehrlos und brotlos sollten die verächtlichen Wafzigs werden. Als der Vater mit seinem Entlassungsschein heimkam, begab er sich, seinen inneren Schmerz verbergend, in sein Schlafzimmer, kniete sich am Bettrand nieder und betete den Rosenkranz. — Die Mutter, eine gut große Gestalt, trägt die tiefen abgehärmten Züge eines tiefen, langen, sorgenvollen Leides und unausgesprochenen Wehes in ihrem merklich eingefallenen Gesicht. Sie ist die erste beim Morgenbrot und die letzte in später Nachtstunde, unermüdlich rührig besorgt für ihre Familie. Sie genießt die unumstößliche Autorität auch den erwachsenen Kindern gegenüber. Ihr herbstes Leid ist, daß sie mit ihrer ganzen Familie, der noch vergangenen Sommer der Herr Pfarrer das schriftliche Zeugnis als einer der besten des ganzen Ortes ausgestellt hat, nun ohne irgend eine faßbare Begründung exkommuniziert ist und durch das gehässige Benehmen der Mitmenschen selbst vom Besuch des Gottesdienstes abgehalten ist. Ich beobachtete sie still, als früh morgens die Glocke zur hl. Messe ertönte und sie mit tränenfeuchten Augen durchs Fenster zum Kirchturm hinüber schaute. Dort war täglich ihr Platz im Betstuhl und an der Kommunionbank, desgleichen der ihrer Kinder. Die drei Töchter im Alter von 29, 28 und 16 Jahren sind ordentliche, fromme, fleißige und frohe Mädchen, die alle in der kleinen Stickerei tätig sind, welche Mutter Wafzig betreibt. Freilich ist durch die bösartigen Gegner selbst dieser bescheidene Erwerb durch einen förmlichen Boykott im Orte so viel wie unmöglich gemacht. Die 16jährige Tochter Maria mußte auf ihr Studium am Gymnasium in Pirmasens, wo sie bereits die 7. Klasse besuchte, aufgeben, wenn auch ein protestantischer Professor sie besuchte und wiederholt zur Fortsetzung des Studiums ermunterte, da sie seine beste Schülerin gewesen. Der 22jährige Sohn Josef kann ebenfalls sein Studium an der Hochschule nicht betreiben, da ja die Familie einem förmlichen wirtschaftlichen Ruin ausgeliefert ist. Die drittälteste Tochter, geboren am St. Stefanstag 1925, erhielt in der Taufe den Doppelnamen Anna Elisabeth. Sie besuchte 8 Jahre die Volks-Schule ihrer Heimat, leistete dann unter der Nazizeit ihr Pflichtjahr in Neumarkt bei Breslau. Hernach besuchte sie in Pirmasens einen halbjährigen Handelskurs, wurde anschließend Büroangestellte beim Sägewerk Gg. Knecht und kam von dort bald in die Kreissparkasse Primasens, Zweigstelle Rodalben, wo sie 1942-1951 in leitender Stellung tätig war. Ein erstklassiges Zeugnis ihres Direktors bestätigt dies.
Anneliese ist eine gefällige Erscheinung, 1,70 m groß, dunkle, kurze Haare, die ihr bei einer Kinderkrankheit ausgefallen waren, die ihr aber nach einem kindlichen Gebet in der Wallfahrtskirche zu Walldürn wieder nachwuchsen, allerdings nur eine kleine Spanne lang. Ihr wohlgepflegtes Äußeres sowie ihre stets peinlich reine, schmucke Kleidung darf ais Spiegel ihres Innern gedeutet werden. Außer den Kinderkrankheiten der Masern und Diphterie erlitt sie einmal eine Gehirnerschütterung 1945 durch ein herabstürzendes Gepäck auf der Fahrt nach Freiburg i.Br. Einen lebensgefährlichen Unfall mit langwieriger Dauer erlitt Anneliese im Juli 1951 auf ihrer Urlaubsreise in die Schweiz. Als sie in Waldshut am Oberrhein die Grenze passieren wollte, wurde sie beim Überqueren der Straße, bevor sie den Bürgersteig erreichte, von einem Motorradfahrer mit aller Wucht angefahren, in die Höhe geschleudert. Es waren ihr ganze Stücke Fleisch herausgerissen und sie trug eine sehr schwere Gehirnerschütterung, besonders des Kleingehirns davon, so daß sie bis Mitte September überhaupt nicht transportfähig war und im Krankenhaus zu Waldshut lag. Es stellten sich infolge der Gehirnerschütterung schlimme Anfälle ein, die nach der Überbringung in die Heimat noch an Heftigkeit und Zahl steigerten. Da offenbarte die liebe Muttergottes ihr, daß sie am 24. November von ihr geheilt werde, daß sie aber bis dahin noch schwere und viele Anfälle bei vollem Bewußtsein erleiden müsse, am letzten Tage sogar 20 an der Zahl. Die Heilung erfolgte dann auch plötzlich und vollständig, und kein Anfall wiederholte sich seitdem mehr. Sämtliche Ärzte, darunter Fachärzte, hatten die Krankheit als aussichtslos erklärt und ihren baldigsten Tod angesagt.
Ein eigenes Protokoll über diese Heilung, von Anneliese Wafzig selbst verfaßt, folgt später noch eigens. Unterbrochen wurden die Tage seit ihrer Heilung durch vom Himmel ihr auferlegte Leiden, die mehr Sühneleiden zu sein scheinen, durch geheimnisvolles Erleiden der Geißelung und Stigmatisierung, durch das Passionsleiden in der Fastenzeit und in besonderer Heftigkeit am Gründonnerstag und Karfreitag, sowie durch einen Überfall durch vier unbekannte Täter am Abend des 8. Januar 1952, wobei sie einen heftigen Schlag mit einem harten Gegenstand auf den Kopf erhielt, der ihr erneut eine Gehirnerschütterung mit starken immer noch nachwirkenden Schmerzen verursachte. Die Anfälle jedoch traten in keiner Weise mehr auf.
Ihr Visionsleben setzte sich vom November bis Ende Juli 1952 fort durch öftere Erscheinung der Muttergottes, auch des leidenden und an Ostern des auferstandenen Heilandes, des hl. Josef am 19. März, der fast eine Stunde bei ihr blieb, mit dem sie in fremder Sprache (aramäisch?) redete, der hl. Gemma Galgani und seit ihrer Exkommunikation nach Weihnachten 1951 wiederholt in der Woche ein Engel mit Kelch und Hostie, der ihr und denen, die mit ihr beteten, in geheimnisvoller Weise „das Brot des Lebens" reichte, wie der Gottesbote selbst diese Art geistige Kommunion nannte. Als letztes abschließendes Ereignis ihres visionären Erlebnisses wurde ihr die Erscheinung der lieben Muttergottes und des Heilandes für den 1. Juli angekündet und hierbei ein für alle sichtbares Zeichen des Himmels versprochen. Auf ihre kindliche Bitte hin verhieß ihr die Muttergottes zum Abschied am 2. Juli nochmals zu kommen; denn dieses Erleben, von dem sie ahnte, daß es das schmerzvollste ihres Lebens sein werde, wollte sie nicht im Walde vor aller Augen haben. Und die himmlische Mutter ging auf die Bitte ihres Kindes ein.
Charakter und religiöse Grundeinstellung der Anneliese Wafzig wollen hier nur in kurzen Strichen gezeichnet werden. Im Denken und Urteilen legt sie eine klare Logik und mathematische Nüchternheit an den Tag, gerade in religiösen Dingen, die zuweilen die Grenzen des Rationalismus erreicht. So legte sie nicht nur sämtliche neuesten Muttergottes-Erscheinungen ab, sondern stand selbst Lourdes und Fatima kritisch gegenüber. Als z.B. voriges Jahr ihre etwas schwächliche Schwester Agnes die Pilgerfahrt nach Lourdes mitmachen durfte, äußerte sich Anneliese: „Wäre gescheiter, wenn sie ins Allgäu fahren und sich dort erholen würde", welcher Ausspruch ihr allerdings einen scharfen Tadel der Mutter, verbunden mit dem Verbot einer Romfahrt, die sie hätte machen dürfen, eintrug. Sie ist abhold jeglicher Schwärmerei und Gefühlsbetonung. Zu den „Vielbetern" gehört sie heute noch nicht. Wenn sie jedoch betet, dann ist sie ganz bei der Sache. Ihr Beten ist ein kindlich vertrauliches Reden mit dem lieben Vater im Himmel, durch und in Jesus Christus in der lichten Erkenntnis und frohen Liebe des Hl. Geistes. Sie hat ein feines Empfinden und tiefes Erkennen der wirklich wesentlichen Stücke der katholischen Frömmigkeit. Unauffällig gestand sie mir in einer Unterhaltung: „Als das wertvollste Gebet habe ich schon immer das hl. Meßopfer betrachtet. Wenn ich das nicht gehabt habe, dann meinte ich, es sei für diesen Tag all mein übriges Tun nichts wert. Das kann ich sagen: ich bin nie in meinem Leben in der hl. Messe gewesen, ohne daß ich nicht auch zur hl. Kommunion gegangen wäre. Es wäre mir das vorgekommen wie das Wort des Heilandes: „Die Geladenen waren dessen nicht wert". In ihrer Heiligenverehrung nimmt nach der Muttergottes den ersten Platz der hl. Josef ein, dem sie schon seit früher Kindheit in vertraulicher Freundschaft zugetan ist. In ihr inneres Seelen- und Gebetsleben will sie sich nur schwer hineinschauen lassen. Als sie mir so nebenbei von einer Laienkatechetin erzählte, die behauptete, das betrachtende Gebet sei nur für studierte Leute etwas, lächelte Anneliese über diesen Ausspruch und freute sich dann aber von Herzen, als ich ihr eine Broschüre über das betrachtende Gebet gab. Sie kann gewöhnlich nur wenige Stunden der Nacht schlafen. Gefragt, wie sie denn die langen nächtlichen Stunden verbringe, antwortete sie, wie einst die kleine Theresia bei ähnlicher Gelegenheit: „Ich denke".
A.W. besitzt eine ausgeprägte intellektuelle Veranlagung und eine scharfe Willenskraft, welche beide sich nur durch strikteste Beweisführung und klarste Zielsetzung überzeugen und biegen lassen. Wie wahrheitssuchend, so ist sie auch wahrheitsliebend und wünscht, daß auch andere frei und offen mit ihr reden. Sie ist von natürlicher Heiterkeit und lebensfrischem Frohsinn, aufgeschlossen für alles Gute, Schöne und Edle. Sie hat einen weltoffenen Blick, ein ungezwungenes Benehmen, ein freundliches Wesen, ist für die kleinste Freude wie noch mehr für das leiseste Weh überhaus feinfühlig, gegen andere noch mehr wie für sich. Sie besitzt eine gute Menschenkenntnis. „Ich schau nur auf die Augen und auf die Hände, dann weiß ich, wen ich vor mir habe", sagte sie einmal zu mir nebenbei. Mit Freude und Interesse las und betrachtete sie in der Natur und Schöpfung als dem großen Bilderbuch Gottes. Als ich nachts mich in der Küche mit ihr unterhielt, rief sie plötzlich in heller Freude: „Da guck, ein Mäusle. Wie nett! Ich kann ihm nichts antun. Einen Menschen könnte ich operieren; aber einem Tierlein könnte ich nichts zu leide tun." Ihre Mutter, die sparsam ist mit dem Lob für ihre Tochter, faßte einmal mir gegenüber ihr Urteil kurz dahin zusammen: Zwei Eigenschaften hat Anneliese von Jugend an: Eine unüberwindliche Geduld im Leiden, wo sie nie etwas sagte, bis sie nicht mehr konnte (und zu leiden hat sie schon immer seit ihrem 10. Lebensjahr) und eine übergroße, mitleidige Nächstenliebe, die überall helfen will." Die Charakterisierung ist wahr und enthält viel. Ich konnte aber beobachten, daß das Mädchen gerade hinsichtlich dieser Eigenschaften vielfach nicht verstanden wird und seelisch viel zu leiden hat.
A.W. ist eine nach Erkenntnis ringende Menschenseele, durchaus noch nicht fertig und vollkommen. Tritt Gottes Vorsehung ihren eigenen Plänen entgegen, so ist sie nur durch schlagenste Beweisführung davon zu überzeugen. Hat sie aber einmal etwas als Gottes hl. Willen erkannt, so ist sie unter größter Selbstverleugnung bereit, sich dem Liebeswillen ihres Vaters im Himmel zur Verfügung zu stellen.
Was ihre Stellung zur hl. Kirche anbelangt, so ist sie derselben, trotz der bitteren Erfahrungen, treu ergeben, hat eine tiefe freudige Ehrfurcht vor dem Priestertum und trägt eine kindliche Verehrung gegen den HI. Vater, für den sie täglich besonders betet. Als den größten seelischen Schmerz empfindet sie daher die Exkommunikation, welche auf eine so eigenartige Begründung hin über sie und die Ihrigen verhängt worden ist. Sie hat gegen Mitte Juni sich brieflich an den hochwürdigsten Herrn Bischof von Speyer gewendet und gebeten, daß sie persönlich ihm alles mitteilen dürfe. Sie drückte ihre Hoffnung aus, daß bei Erkenntnis der wahren Sachlage der hochwürdigste Oberhirte sicher die kirchliche Strafe von ihr und den Ihrigen nehmen werde. Eine Antwort erhielt sie bis heute (16. Juli 1952) nicht. Vielleicht ist der Brief, der zwar an den H.H. Bischof persönlich adressiert war, nicht in dessen Hände selbst gelangt.


DIE VORGÄNGE IN DER NACHT VOM 1. AUF DEN 2. JULI 1952 IN RODALBEN, RHEINPFALZ

Frl. Anneliese Wafzig bekam am 13. Juni 1952 in der Vision von der lieben Muttergottes gesagt, daß am 1. Juli 1952 die dritte und letzte Erscheinung im Walde sein werde. Dabei werde der Himmel für alle Leute ein sichtbares Zeichen geben. Einige Tage später wurde Anneliese durch einen Engel mitgeteilt, daß sie sich für diese Vision ein Tuch richten soll und gab ihr als Maß 40/40 cm an. Da mich A.W. bereits brieflich und seit dem 3. Juni auch persönlich kennen gelernt hatte, fragte sie die liebe Gottesmutter: „Soll dieser Priester dabei sein, wenn das Zeichen für alle kommen wird?" Die Himmelskönigin antwortete ihr: „Es wäre mir lieb, wenn er dabei sein würde." Diesen Wunsch äußerte die Muttergottes schon am 31. Mai und wiederholte ihn am 3. Juni. Daraufhin entschied ich mich, für den 1. Juli nach Rodalben zu kommen, und das um so mehr, als ich mit Bekannten im Auto umsonst hinfahren konnte.
A.W. vertraute mir am 1. Juli gegen Mittag an, daß sie mir noch etwas Merkwürdiges geben müsse, ein Tuch; die Muttergottes habe dies so angeordnet. A.W. überreichte mir dann am Nachmittag um 5 Uhr ein grobleinenes Tuch von 40/40 cm Größe, ungefähr in der Form eines Corporale. Sie forderte mich auf, mir dasselbe genau anzuschauen, daß nichts darauf sei. Ich sollte es für die Erscheinungsstunde mitnehmen und es ihr erst geben, wenn sie in der Vision darnach verlange. Ich sollte es aber unmittelbar bevor ich es ihr gebe, allen Anwesenden zeigen und herumreichen, daß alle sich überzeugen könnten, daß es ein einfaches Grobleinen sei, ohne irgend eine Zubereitung oder Zeichen. Den Tag des 1. Juli brachte A.W. in Vorbereitung auf die große Stunde zu. Sie bemühte sich, so weit es die kommenden Bekannten erlaubten, für sich zu sein, um zu beten. Sie erlitt auch noch heftige Anfechtungen des bösen Feindes, der sie zur Verzagtheit und zum Widerwillen versuchte. Dieser Kampf mit dem Bösen steigerte sich je näher die Stunde heranrückte. Ich suchte sie mit dem Hinweis auf den seelischen Kampf des göttlichen Heilandes zu trösten, der zu Beginn seiner großen Stunde noch mehr sein Ölbergleiden durchkosten wollte.
Gegen 8 Uhr abends gingen die Anneliese befreundeten Beter unauffällig in kleinen Gruppen zum Friedhof am Rande des Dorfes und von dort zur Stelle im Walde, die die Muttergottes bezeichnet hatte, etwa 250 m vom Friedhof entfernt. Um halbneun Uhr machte sich auch Anneliese in Begleitung ihrer Mutter, ihres Bruders, dreier Schwestern und einiger Bekannter auf den Weg zur Erscheinungsstätte. P. Augustin (Wolfgang Kimmel) und ich begleiteten sie. Die Wegstrecke beträgt eine Viertelstunde. Kaum hatten wir die Haustüre hinter uns, begann schon das Spotten und Schmähen gegen Anneliese und uns. Wir setzten unbeirrt unsern Weg fort, bis wir am Friedhofausgang ankamen. Dort stellte sich uns unerwartet eine geschlossene Kette von Männern entgegen, die uns gewaltsam am Verlassen des Friedhofs und am Weitergehen hinderten. Die Schmähungen und Lästerungen, die sie dabei ausstießen, sind nicht wiederzugeben.
Einige Männer ließen sich sogar zu tätlichen Angriffen hinreißen. Ich fragte die Leute, wer ihnen das Recht gebe, friedlichen Menschen den Weg zu versperren, und bat sie um ihre polizeiliche Bevollmächtigung. Ein gröhlender Tumult unter Ausrufen: „Wir sind vom Kolpingsverein" und eine verschärfte Stellungnahme gegen mich waren die Antwort. „Du Gotteslästerer, du falscher Hund" u.a. Titulationen wurden mir zugeworfen. Als ich wiederum die Menge bat, uns den Weg frei zu machen, griff man mich tätlich an und stieß mich zurück. Nach einer dritten vergeblichen Aufforderung betonte ich, daß ich die Polizei sprechen wollte, die sich bei der Erscheinungsstätte befand. Nach wiederholten vergeblichen Versuchen, die Phalanx der Kolpingssöhne zu durchbrechen, gelang es mir endlich, durchzukommen. Unter einem dauernden Spießrutenlaufen von Hohn und Spott, von Faust- und Stockdrohungen, kam ich zum Polizeichef. Dieser suchte mit völlig ungenügenden Kräften eines einzigen Schutzmannes sowie eines Forstbeamten, die nach Hunderten zählende Menge, besonders Jugendliche, zu bändigen, die in nicht wiederzugebender Weise die 40 bis 50 friedlichen Beter bearbeiteten, die sich am Erscheinungsfelsen eingefunden hatten. Ich zeigte dem Beamten meine Kennkarte und meinen KZ-Ausweis und bat ihn, uns den Weg am Friedhof doch frei zu machen, da wir hieher gehen wollten, um privat einige Gebete zu verrichten. Daraufhin erklärte mir der Polizeichef, der diesmal ausnahmsweise in zivil gekommen war, daß das Forstamt jegliche Versammlung und Veranstaltung hier im Walde verboten habe. Ich versicherte ihm, daß wir weder eine Versammlung, noch eine Rede, noch eine Veranstaltung halten, sondern nur beten wollten. Nach meiner wiederholten Bitte, uns den Weg frei zu machen, da es doch ein öffentlicher Weg für jeden Staatsbürger sei, ging der Beamte mit mir zum Friedhof zurück. Dort hatte sich die Menge noch fester zusammengedrängt und geriet in hellen Fanatismus, als sie mich mit dem Beamten kommen sah. Dieser forderte nun in freilich nicht gerade tatkräftiger Weise die Leute auf, den Weg frei zu machen. Ein infernales Gebrüll war die Antwort. Die Gesichter dieser Menschen waren wirklich zu dämonischen Fratzen verzerrt. Ohne weitere ernstliche Bemühung erklärte mir der Beamte: „Sie sehen, es ist unmöglich, der Aufruhr wird nur größer. Es bleibt nichts übrig, als daß sie nach Hause gehen." Ich mußte der Gewalt weichen und trat mit meiner Begleitung, wenn auch innerlich schweren Herzens, den Heimweg an. Ich bat den Beamten, er möge uns polizeilichen Schutz gewähren. Ein gellendes Triumphgeheul und eine Flut von Lästerungen der Gegner begleiteten uns.
Wir gaben jedoch unser Vorhaben, zum Erscheinungsfelsen zu kommen, noch nicht auf. Nach einem einstündigen Verhör im Polizeigebäude und einer Strafanzeige, die ich wegen Mißhandlung und öffentlicher Beleidigung erstattete, fuhr ich mit meinem Mitbruder P. Augustinus in einem bekannten Auto nach Pirmasens, um die Hilfe der MP. anzugehen. Trotz längerer Bemühungen war diese nicht zum Eingreifen zu bewegen, da der Captain versicherte, daß er nur dann zum Einschreiten berechtigt sei, wenn amerikanische Bürger oder Soldaten mitverwickelt seien. Erst gegen halb zwölf Uhr kamen wir zum Elternhaus der A.W. zurück, wo wir auch nur mit polizeilicher Hilfe den Eingang ins Haus erreichen konnten. Als ich dort erfuhr, daß eine Anzahl Frauen und Mädchen von den unsrigen von der Erscheinungsstätte noch nicht zurückgekehrt sei, mußte ich nochmals unter polizeilichem Schutz um Mitternacht in den Wald hinaus. Dort fand ich in großen Schwierigkeiten und beständiger Bedrängung durch die Gegner, Männer wie Weiber, die geängstigte kleine Schar am Erscheinungsfelsen, forderte sie auf, heimzukehren, und erreichte selbst unter gemeinsten Schmähungen des Pöbels das Haus der A.W. nach 12 Uhr Mitternacht.

Rodalben 1952Gegen 00.30 Uhr begann A.W. mit den nun ca. 60-70 Betern, die sich im Hause eingefunden hatten, den Wundenrosenkranz zu beten. Ich kniete während desselben unmittelbar rechts neben ihr. Gegen Ende des sechsten Gesätzchens kam A.W. in Ekstase. Sie sah, wie sie mir hernach berichtete, links vor sich die Muttergottes und gerade vor sich über dem kleinen Hausaltärchen den gekreuzigten Heiland. Rodalben 1952Während dieser Vision nun verlangte A.W. von mir das oben besagte Leinentuch. Ich zog dasselbe aus meiner Brusttasche, entfaltete es und zeigte es allen Anwesenden, Männern und Frauen, Katholiken und einigen Andersgläubigen. Ich ließ das Tuch herumreichen, betasten, gegen das Licht halten, so daß sich jedermann überzeugen konnte, daß es ein einfaches, grobes Leinentuch sei, ohne jegliche Spur einer Zubereitung oder Zeichnung. Die unten folgenden eigenhändig unterschriebenen Personen bezeugen dies mit eidlicher Versicherung. Dann reichte ich vor aller Augen das entfaltete Tuch der A.W. hin, die immer noch in Ekstase war. Rodalben 1952Diese hielt es lose zusammengefaltet zunächst links von sich hinauf. Nach ihrer spätern Aussage verlangte die Muttergottes, daß A. ihr das Tuch zum Kusse reichen sollte. Dann bückte sich A.W. tief und küsste, wie sie später angab, die blutüberströmten Füße des gekreuzigten Heilandes. Auch mich zog sie am Arme, daß ich dasselbe tun sollte. Dann legte sie das Tuch dorthin, wo sie die blutenden Füße des Herrn geküßt. Hierauf stand sie auf und hielt das zusammengefaltete Tuch vor den Augen aller im Zimmer anwesenden Personen hoch vor sich hin, nach ihrer späteren Angabe gegen das Herz des gekreuzigten Heilandes. Da nun erschien im gefalteten Tuch plötzlich ein roter Fleck, der sich vergrößerte. Da kniete A.W. wieder neben mir nieder, faltete das Tuch auf und hielt es mit beiden Händen unter das kleine abgerundete Tischbrettchen des Hausaltärchens, auf dem in geöffneter Pyxis die von mir mitgebrachte Hostie für die Krankenkommunion lag. A.W. hielt aber während dessen die Augen immer noch unverwandt nach oben, zur Herzwunde hingerichtet. Hernach von mir gefragt, wußte sie nichts davon, daß sie das Tuch unter die hl. Hostie gehalten hatte. Sie sah nur, wie das Blut aus der hl. Seitenwunde quoll, und sie es mit dem Tuch auffing. Dann faltete sie das Tuch wieder zusammen und hielt es weiter unter die hl. Hostie, wobei sie freudestrahlend mit beiden Händen das Tuch hin und her bewegte, wie wenn sie sorglich etwas auffangen wollte. Rodalben 1952Ich kniete dabei unmittelbar neben A.W. und sah im zusammengefalteten Tuch etwas Rotes laufen und eine Form bilden. Dann nahm sie das Tuch und reichte es der immer noch links von ihr schwebenden Muttergottes zum Kusse hin. Hierauf senkte sie es wieder zu sich herab, küßte es in hl. Ehrfurcht und barg, ganz in sich verloren, ihr Antlitz im noch gefalteten Tuch. Nachdem sie es noch kurz an sich gedrückt, reichte sie es mir dar. Nun faltete ich kniend das Tuch vor A.W. und mir aus. Da sah ich mit frischem nassem Blut die Gestalt eines Herzens ins Tuch hineingegossen. Aus der rechten Herzseite (vom Objekt aus gesehen) ergießt sich ein Blutstrom in einen Kelch, den das Blut weiterfließend gebildet hatte. Über der rechten Hälfte des Kelches schwebt eine blutgebildete Hostie mit dickem, ebenfalls aus Blut gebildetem Kreuz durchzogen. Die Hostiengestalt ist nicht mit den übrigen Formen verbunden. Ich verehrte das wunderbare Bildzeichen und reichte es auch A.W. zum Kusse. Dann stand ich auf und zeigte das mit den Blutgestalten gezeichnete Leinentuch den anwesenden Gläubigen. Rodalben 1952Ein heiliger Schauer ging durch die Menge, begleitet mit einem lauten Aufschrei seelischer Erschütterung über das in so unmittelbarer Nähe erlebte und geschaute Zeichen des Himmels. Hierauf breitete ich das Bluttuch über dem Hausaltärchen aus, ließ die einzelnen Gläubigen vortreten, es ehrfurchtsvoll verehren und am Rande küssen. Nach Wunsch der lieben Muttergottes verharrten die Gläubigen den Rest der Nacht vor dem vom Himmel gegebenen Zeichen.
Was aber ging während der Stunde des Wunderzeichens draußen vor sich? Die fanatisierte feindliche Menge hatte sich nach meiner zweiten Rückkehr vom Walde nach Mitternacht durchaus nicht, wie ich vermutete, nach Hause begeben. Sie hatte sich vielmehr vor dem Hause der Familie Wafzig zusammengerottet und erhob immer wieder ein höhnendes und schmähendes Wutgeheul. Die zwei Polizeibeamten bemühten sich läßig, die Menge zu beruhigen, schritt aber keineswegs in ernstlicher Weise ein. Dann flogen Steine gegen das Haus. Gegen halbein Uhr ging ein Bombardement sämtlicher Fenster los, es schaute in der Frühe aus wie nach einer Bombennacht. Ängstliche Rufe gingen durch die Reihen der Betenden. Den Höhepunkt erreichte die feindliche Bedrängnis in den Minuten der wunderbaren Ereignisse, als sogar einige Schüsse gegen die Fenster fielen, so daß sich ein Teil der Beter vor Angst auf den Boden warf, was auch photographisch festgehalten ist. Kurz nach dem Blutwunder war ein zudringlicher Gegner über die Hofmauer gestiegen und griff durch das halboffene Fenster nach der Tante der A.W. Wir wollten das Überfallkommando anrufen. Aber es war unmöglich, das auf allen Seiten belagerte Haus zu verlassen. Erst nachdem ein befreundeter Nachbar aus eigenem Antrieb zur Polizei ging und um Verstärkung bat, legte sich allmählich der furchtbare Umtrieb und die Menge zerstreute sich langsam.Ich ließ das Bluttuch 20 Minuten vor 1 Uhr photographieren. Bei genauer Beobachtung stellte ich fest, daß das auf das Leinen geflossene Blut noch flüssig war, an den Rändern noch weiter sickerte und sich dornenähnliche und zackige Erweiterungen bildeten. Daher ließ ich es 10 Minuten nach 2 Uhr nochmals photographieren. Ein gleiches tat ich um 4 Uhr in der Frühe. Die endgültigen Randformen nahmen die Blutzeichen erst in den Vormittagsstunden des 2. Juli an, wo das anfänglich frische Blut schon eingetrocknet war. Gleich anfangs in der Nacht, nachdem das Blutzeichen sich gebildet hatte, roch ich auch daran und glaubte einen süßlichen Geruch nach frischem Blut zu vernehmen.
Die Wahrheit dieses Augenzeugenberichtes beeidet vor Gott dem Allwissenden:
Neumarkt, Opf., den 18. Juli 1952, Karmelitenkloster Mariahilfberg

Pater Gebhard Maria a.S. Laurentio OCD (Heyder Franz)
***
Diese zwei Augenzeugenberichte sind erstmals erschienen in der Monatszeitschrift "DAS ZEICHEN MARIENS", 6. Jahrgang, Nr. 2, Juni 1972, Seiten 1626-1633.

Samstag, 3. Februar 2007

Maria Sieler und die Erneuerung des Priestertums

In den Jahren ihrer Jugend führte Maria Sieler (geboren am 3. Februar 1899 in Winterdorf, etwa 30 km östlich von Graz) ein intensives, teilweise mystisches Gebetsleben, ohne sich bewußt zu sein, daß der Herr seine besonderen Absichten mit ihr habe. Erst als sie zur vollkommenen Hingabe an Ihn gelangt war, ließ Er sie erkennen, daß Er eine allgemeine Erneuerung der Kirche vor Augen habe und zu diesem Zweck bei der Erneuerung der Priester beginnen wolle, und dazu solle sie Ihm Werkzeug sein. Worin aber ihr Anteil bei der Erneuerung der Priester bestehen solle, erkannte sie erst im Laufe der Jahre, hauptsächlich erst in ihrer römischen Zeit.
Das allgemeine Ziel des Herrn gibt sie mit folgenden Worten an:
"Jesus will abermals menschliches Tun und Wollen gebrauchen, um in seiner Menschheit der Kirche nahe zu kommen. Zuerst soll sein Leben langsam erlebt werden in seinem kleinsten Kinde (sie meint damit sich selbst), dann gnadenvoll gegeben werden in seinen Priestern. - Jesus will in seiner Kirche leben; sein Geist, Er selbst will sie erneuern in seinen Priestern. Er fängt so klein und im Verborgenen an, sich opfernd mit dem Herzblut seiner kleinsten Kinder (an dieser Stelle scheint sie sich selber und P. Baumann S.J. vor Augen zu haben); es soll dies der Same sein für eine spätere Ernte. Wir haben keine andere Aufgabe als diese, alles andere macht Er selbst" (6.2.1940). Als sie drei Wochen später in der Gruft von St. Peter in Rom vor dem Marienaltar der heiligen Messe beiwohnte und alles "ihr", nämlich der Gottesmutter, überließ, erlebte sie "Jesu Tun und Leben fühlbar" und erkannte gleichzeitig ihre geistige Aufgabe: "Das Leben Jesu leben als Offenbarung für die Kirche, für die Priester; nach diesem seinem Leben möchte Jesus alle Priester umgestaltet sehen" (28.2.1940). Vor allem ging es "um das Erleben seiner inneren Erlöserart", wie ihr der Herr selbst erklärte, da Er "das innere Erlösungsgeheimnis seinen Priestern und seiner Kirche" offenbaren wolle.
Damit der Herr sich Maria Sielers für seine Absichten bedienen konnte, forderte er von ihr die vollkommene Hingabe an ihn, verbunden mit einem völligen Verzicht auf sich selbst. In diese Forderung war eingeschlossen: "Verzichten auf die eigene, menschliche Sorge, wie sich 'mein Werk', das Priesterwerk, entwickeln wird. Das menschliche Ich möchte ja voranmachen und 'etwas für Ihn tun'; es ist mir aber, als würde mir alles aus der Hand genommen, weil Er es in die Hand nimmt. Er gebraucht mich dazu, aber es ist mir vollständig verborgen, in welcher Art, doch weiß und fühle ich, daß Er durch sein Wirken in mir 'Licht' macht für seine Absichten. Es ist mir alles geheimnisvoll dunkel; ich spüre, daß ich das Werkzeug sein werde, aber alles 'tut' Er. Es ist daher eine Wendung sowohl in meinem Innenleben wie auch im Äußeren: Was früher meine Arbeit und mein Bemühen noch schien, das übernimmt jetzt Jesus ganz selbst. - Ich sehe dabei, wie selbstisch der Mensch ist, wie gern man selbst etwas 'tun' wollte; man spürt, wie man - ohne persönlichen bewußten Willen - an sich, am Erfolg hängt; man spürt das erst ganz, wenn dem Eigenen alles aus der Hand genommen wird.
Und das letzte, was in dem von Jesus geforderten und bewirkten Verzichte liegt: Meine Zukunft, ich selber bin mir weggenommen. All meine Kräfte, Fähigkeiten, Aktmöglichkeiten dienen seinem sich gleichsam wiederholenden Sein. Jesus will das große Wunder in mir wirken und vollenden: sich offenbaren, sich erlebt und gelebt zeigen, wiederholt durch meine menschlichen Fähigkeiten. Jetzt aber vollzieht sich in mir meine entscheidende, letzte, volle Besitznahme von mir. Er gebraucht alles in mir für sich, so ähnlich wie Er einst seine eigenen Lebenskräfte gebraucht hat, um bestehen zu können" (31.1.1941)
Maria Sieler weiß, daß es "ein Naturgesetz und als Bestimmung in die Seele gelegt ist, daß sie sich um sich selbst kümmere und daß jeder Mensch gemäß dem von Gott gesetzten Plan sich selbst behauptet" (ebd.). Maria Sieler hat diese vollkommene Hingabe und den völligen Verzicht auf sich selbst willensmäßig schon längst geleistet. Aber immer wieder wird sie sich - wie wir noch sehen werden - Sorgen machen um ihre eigene Zukunft, um eine neue Wohnung, um das zu gründende Priesterwerk, ja um ihren eigenen Tod, aber immer wieder wird sie sich zu der vom Herrn geforderten Hingabe und zum völligen Verzicht auf sich selbst durchringen.
Wenn andere Mystiker das Leiden Jesu "geschaut" haben, wie Anna Katharina Emmerich oder Therese Neumann, oder Jesu körperliche Leiden mitgelitten haben wie die Stigmatisierten, so sollte Maria Sieler das Innenleben Jesu als Erlöser nachleben. Oder anders ausgedrückt: Christus wollte in ihr sein inneres Leben als Erlöser noch einmal leben, und das sollte die Erneuerung der Priester herbeiführen: "Eine vertiefte Auffassung der Erlösungslehre wolle Jesus seiner Kirche als neue Quelle der Gnaden offenbaren" (13.7.1940).
Mit der Zeit wunderte sich Maria, daß der Herr immer nur von ihrem Innenleben, von ihrem Eingehen in Ihn und seinen Erneuerungsplänen sprach, aber nichts von seinen äußeren Absichten und von der Gründung jenes Werkes sagte, das Er plante. Da wurde ihr innerlich die Antwort gegeben:
"Kümmere du dich allein darum, daß du ganz in Mich aufgenommen werdest; ich werde so Großes tun, daß du es nicht ertragen könntest." Maria fügte hinzu: "Wenn ich es jetzt schon wüßte, würde es meine Armseligkeiten zu sehr beschämen" (23.2.1941).
Ähnlich einige Wochen später: "Glaube mir, du bist das Werkzeug für meine Absichten. Das Erleben meiner Erlöserliebe, für das Ich dich befähige, ist die Offenbarung meines Herzens an die Priester und ist der Beweis für die Schenkung meines Herzens" (21.7.1941).
Dann fährt der Herr fort:
"Diese Offenbarung meiner Erlöserliebe ist vornehmlich für die lehrende Kirche, für die Priester bestimmt. Die Gläubigen könnten mich nicht so verstehen; an diese gelangt es durch die Priester. Durch die Früchte, die es in ihnen hervorbringt, wird es Gemeingut der ganzen Kirche werden." - Jesus drängte mich erneut, daran zu glauben, daß dieses Erleben seiner Erlöserliebe bzw. seiner inneren Erlöserleiden durch die Schenkung seines Herzens an die Priester begründet ist und daß dies der Zweck all seiner Gnaden sei. Von diesem Standpunkt aus soll ich mein Innenleben betrachten und mich selbst als Werkzeug ansehen. - Dieser letzte Zweck würde mir auch alle Leiden leichter machen" (ebd.)
Und weiter:
"Jesus will die Leiden seines Herzens in mir wiederholen, damit auch sein Inneres offenbar werde für die Priester" (ebd .)
Eine ähnliche Vereinigung mit seiner göttlichen Person, wie Er sie ihr gegeben hat, will der Herr allen Priestern anbieten; das bedeute "die Schenkung seines Herzens"; "Die Priester sollen daran glauben und diese Gnade anstreben und sich um sie bemühen durch die Überwindung der erbsündlichen Unordnung" (ebd.) ...
Ihre zweite Aufgabe sollte darin bestehen, daß sie durch ihre inneren und äußeren Leiden einen Gnadenschatz für die Priester erwerbe... Die Aufgabe, die der Herr Maria Sieler zugedacht hatte, fand ihre Krönung in der geistigen Mutterschaft:
"Der Heiland hat mir heute ein kostbares, aber merkwürdiges Versprechen gegeben: Er stellte mich als 'geistige Mutter' seiner Kirche bzw. dem Priestertum zur Verfügung. Alle meine Opfer und Leiden, alles erkämpfte und erlittene Gute, alle moralische Vollkommenheit, die außergewöhnliche, meiner geistigen Aufgabe entsprechende Vereinigung mit Ihm, alles dies - so läßt Er mich wissen - ist ein geistiger Schatz für das Priestertum. All das seelisch Errungene wird irgendwie fruchtbar in den Priestern. Alle Gnaden meines Innnelebens sind gleichsam Eigentum des Priestertums. Die Priester können daraus schöpfen, und jeder wird vom Herrn das erlangen, worum er Ihn bittet; denn dieser Schatz ist opfernd von mir - in Christus - vorverdient worden ... So wie eine Mutter ihre Anlagen auf ihre Nachkommenschaft überträgt, so wird mein inneres Leben und alle inneren Gnaden bzw. die erreichte Vereinigung mit Christus, wie eine Vererbung weitergeleitet, in der Kirche wirksam sein ... Zur Bekräftigung seines Versprechens erklärte mir der Heiland: 'Ich verpfände dir mein Wort dafür' (14.7.1944).
Ein Letztes gehörte zur Aufgabe Maria Sielers: die Sühne für die Priester. Wir haben schon die Klage des Herrn zitiert, daß die Priester sein Herz verwundet hätten, daß sie die Dornenkrone um sein Herz seien. (Vgl. Mélanie Calvat, nachstehendes Zitat!)

"Wissen wir im übrigen nicht, daß unser Herr verurteilt, gekreuzigt wurde
von den Priestern? ... Sind es nicht die Priester, die die bittersten Vorwürfe
erhielten von Seiten des Sohnes Gottes? Und heute noch, ja, ja, sind es die
Priester, die die Ursache all unseres Unglücks sind, weil sie nicht treu sind
ihrer Berufung." (Mélanie in ihrem Brief vom 10.7.1882 an Abbé Le Baillif)


Dann fährt sie fort:
"Dementsprechend ist auch die Sühne der Seelen für die Nachlässigkeit der Priester schmerzlicher, schärfer und leidvoller; die Sühneleiden für die Priester sind gleichsam eine Wiederholung des Leidens, das verursacht wurde durch die Dornen, die das Herz Christi verwundet haben" (18.5.1945).

Das Werk des Hohenpriesters

In jenen Jahren ließ der Herr Maria Sieler auch erkennen, daß Er zur Erneuerung des Priestertums ein eigenes Werk gegründet wissen wolle: "Das Werk des Hohenpriesters". Oft spricht sie auch einfach nur vom "Priesterwerk" oder vom "Priesterinstitut". Über dieses zu gründende Werk, das sie bis zu ihrem Tode (29.7.1952) beschäftigen wird, erfahren wir erst aus ihren Tagebuchaufzeichnungen des Jahres 1937. Nur einmal erwähnt sie in einem Brief an P. Michael Lenz aus dem Jahre 1930 das "Werk" mit einer Selbstverständlichkeit, daß man annehmen muß, P. Michael sei darüber im Bilde gewesen, was sie damit meinte. Sie hat ihn ja einigemale in Graz besucht, und was sie ihm da erzählt hat, wiederholt sie natürlich nicht in ihren Briefen.
Der Herr sagte ihr: "Ich will meine Liebe gleichsam verströmen lassen auf alle Priester meiner Kirche. Ich will sie besonders in einem Werke ausströmen lassen, das ich bilden werde für meine Priester. Das soll zur Zentrale der Gnaden werden und gleichsam das Senfkörnlein, das sich über die ganze Welt verbreiten soll, da ich alle Priester an mein Herz ziehen will" (7.5.1937).
"Das Werk soll den Namen haben: 'Das Werk des Hohenpriester', weil ich selbst der Gründer des Werkes sein werde. Darin werden sich meine Absichten verwirklichen, die ich für die Erneuerung des Priestertums habe. In diesem Werk will ich eine Anzahl Priester bilden, die ganz nach meinem Geiste leben, so wie ich sie dem heutigen Zeitgeist entgegenstellen will" (14.8.1937).
Vor allem durch das Werk des Hohenpriesters will der Herr den Priestern jene "neuen Gnaden" zuwenden, die er so oft verheißen hat:
"Meiner Gesellschaft will ich den Vorrang geben, diese neuen Gnaden meinen Priestern zu verkünden. Es sollen wirklich neue Gnaden sein. Überall kann man sehen, daß die Priester den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen können und daß der Glaube an ihr Priestertum zu wenig lebendig ist" (ebd.)
Immer wieder verheißt der Herr "neue Gnaden", die er seinen Priestern geben will. Welcher Art sind diese Gnaden?
Maria Sieler beschreibt sie wie folgt:
"Es sind Gnaden, die schon in den Erlöserverdiensten Christi eingeschlossen sind, aber bisher noch nicht allgemein verwertet und eröffnet wurden. - Die Mitglieder (des Werkes des Hohenpriesters) sollen damit das Leben Christi in sich aufnehmen und in allem Christi Stelle einnehmen wollen. Sie sollen in einem vertieften Glauben an ihr Priestersein Jesu Erlöserleben und Erlösersorgen um die Seelen in sich fortsetzen, Christi Interessen und Anliegen ganz und ausschließlich zu den ihren machen, so daß wirklich wahr werde: Der Priester - ein zweiter Christus.
Diese neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und der neuen Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens werden - nach dem Versprechen und dem Willen des Herrn - den Priestern zufließen durch das beständige Mitopfern mit der heiligen Messe. Durch ihre tägliche Mitopferung will der Herr jene geheimnisvolle Verbindung mit seinen Priestern herstellen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen und sie in Ihn umgestalten wird. Alle Priester, die sich mit Christus auf dem Altare opfern und diese Gesinnung in ihr Priesterleben und in ihr Tagewerk hineinzutragen sich bemühen, werden das Leben Jesu in sich verwirklicht sehen. 'Ich will damit' - so spricht der Herr - 'einen Strom neuen Lebens eröffnen, der Ich selbst bin, und sie werden neues geistliches Leben in den Seelen wecken; Ich nehme sie durch ihr Mitopfern in Mich auf und gebe MICH ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.' - Es handelt sich dabei nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitute soll dieser Glaube vorbildlich geübt und vorgelebt werden" (Aus einer Beschreibung des Priesterwerkes vom 4.10.1943)
Der Herr gibt "diese neuen Gnaden jetzt, weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern. Die Priester aber, als die Gott am nächsten Stehenden, sollen als erste diesen versprochenen Anteil am Erlöser und seinen Gnaden in sich erfahren" (ebd.).
"Der Heiland hat mir auch wiederholt versprechend gezeigt: Er wolle diese Gnaden den Priestern 'neu' geben. Ich sah diese Gnaden zuerst niedergelegt in dem zu gründenden Priesterwerke. Ich sah voraus, wie manche Priester dieses Werkes diese Gnaden rascher wie in einer geistigen Umwälzung in ihrer Seele erhielten; andere sah ich diese Gnaden erringen in dem Geiste, der die geistige Grundlage der Genossenschaft bildet, nämlich im beständigen Mitopfern mit Jesus auf dem Altare. Indem sie diese Opfergesinnung Jesu sich in ihrem täglichen Priesterleben zu eigen machen, werden sie als Folge eine Umwandlung in die Gesinnung und in das innere Sein Jesu erfahren ... Im Heiland erlebte ich dann die Fülle seines Verlangens, diese vollen Erlösungsgnaden (gewiß in bestimmten Graden) wie 'neue Gnaden' über seine Kirche auszugießen. Ich sah sein Herz übervoll von diesen Gnaden; ich möchte sagen: Jesus 'litt' unter der Überfülle seiner Liebe und unter dem Verlangen, der Kirche bzw. den Seelen diese Gnaden mitteilen zu können. - Ich schaute diese vollen Erlösungsgnaden dann für alle Seelen offen und wie in nächster Zeit zugänglich gemacht" (28.11.1940).
Eine weitere Umschreibung des Priesterwerkes findet sich im Tagebuch Maria Sielers unter dem 28.2.1941:
"Heute sah ich das Priesterwerk in seinem inneren Aufbau viel klarer. Es wird auf die tiefste Grundlage des Glaubens gestellt, wie Jesus es mir schon früher gezeigt hat. Das Kommen des Menschen von und zu Gott, das Erlösungsgeheimmnis, Christus bis ins Tiefste verstanden: Das wird in den Mittelpunkt des Instituts gestellt. Daraus werden die Folgerungen für den Priester gezogen: der Priester an Christi Stelle das Erlösungswerk in der Kirche fortsetzend. Zuerst soll er sich bemühen, in tiefem Glauben an die wirksame Gnade Christi dessen Absichten bei der Erlösung in sich voll zu verwirklichen. Ich sehe so klar: Nach dem Maße des Glaubens fließen die Gnaden Christi; das Entscheidende ist dieser unbedingte Glaube, vereint mit eigener Mitwirkung, aber auf dem einfachen evangelischen Wege (das heißt im Geiste des Evangeliums).
Im Glauben an Christus lag die Kraft und der Erfolg der Apostel. Der Priester aber ist unbedingt und unmittelbar der, zu dem Christus wie zu den Aposteln sprach: Gehet hin und verkündet das Wort Gottes, verkündet Mich, den der Vater gesandt hat; und wie Mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Ich schaute im kommenden Priesterwerk diese absolute Christuszugehörigkeit: von Ihm gesandt, zutiest verwurzelt im Vertrauen auf die Fülle der Erlösungsgnade; es ist das Zentrum, aber wirkend in größter Einfachheit und Selbstverständlichkeit mit Christus.
Das Priesterwerk, ganz auf den Grundlagen und Absichten Jesu aufgebaut, wird zum 'Senfkörnlein' für die Kirche werden, zum 'Sauerteig', der alles durchdringt. Jesus will im geistigen Aufbau seines Werkes all das verwertet haben, was er mir gezeigt hat und was als grundlegend in meinen Schriften steht: Das Werk sei all den heutigen Zeitübeln als ein sicheres Heilmittel entgegengestellt. Es seien alle Heilmittel gegen die Übel darin enthalten.
Ich habe noch nie so klar die geistige Tiefe des Werkes des Hohenpriesters geschaut und dessen hohe Bedeutung für die Kirche. Jesus fängt klein, mit wenigen, an, wie einst mit seinen Aposteln, aber sein Werk wird so stark, daß es die ganze Kirche erneuernd durchdringt durch sein tiestes Geheimnis: den Glauben. - Der Glaube bildet den einzelnen Priester und damit schließlich in gewissem Sinne die ganze Kirche um. Wie einst die Apostel, so predigt und verkündet der Priester Christus, den Erlöser, den Gekreuzigten."
Selbstverständlich verlangen die "neuen Gnaden" die reinste, persönliche Mitarbeit jedes einzelnen:
"Es gibt keine Gnadengabe, die nicht als erste und wichtigste Voraussetzung einen gewissen hohen Grad der Reinigung der Seelen und damit eine hohe moralische Vollkommenheit hätte.
Maria Sieler denkt hier an noch größere Gnadengaben, die für gewöhnlich nur verliehen werden, wenn schon mit Hilfe früherer Gnaden eine größere Läuterung und ein gewisser sittlicher Hochstand erreicht ist. Aber auch so bleibt Gott noch absolut frei, höhere Gnaden zu schenken oder nicht. Auch durch eine noch so tiefe Läuterung und eine "noch so hohe moralische Vollkommenheit" kann man höhere Gnaden nicht "verdienen" oder Gott gleichsam zwingen, weitere höhere Gnaden zu verleihen. Die Beschreibung der "neuen Gnaden" ist gleichzeitig eine Umschreibung des Zieles des Werkes des Hohenpriesters.
Das "Priesterwerk" ist nicht gedacht als allgemeine Priestervereinigung, sondern als "Zusammenschluß von Priestern, die zuerst auf jene tiefsten Absichten der unendlichen Liebe Gottes eingehen und diese neuen Gnaden sich selbst aneignen wollen. Sie sollen ferner diese Gnaden theologisch begründen und dem gesamten Priestertum zuzuwenden suchen ... Sie werden das Zentrum sein, von dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden. Dazu werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr eigenes Beispiel dienen. Nur jene, die die aufgestellten Grundsätze theologisch und praktisch beherrschen, werden sie anderen priesterlichen Mirtbrüdern mitteilen können. Daher müssen von Anfang an Theorie und Praxis ohne Halbheit und Kompromiß zusammengehen ... Das Priesterwerk soll übernational sein und kann Ordens- und Weltpriester umfassen" (ebd.)

Lesen Sie das Buch:"Erneuerung der Kirche" - Maria Sieler, Leben und Sendung. Von P. Josef Fiedler S.J., 192 Seiten, kartoniert, mit vielen Abbildungen.
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MARIA SIELER:«ERNEUERUNG DER KIRCHE»

Aus dem Tagebuch der Maria Sieler

"In der Kirche des hl. Eustachius, vor der ergreifenden Kapelle des gekreuzigten Heilandes, wurde ich heute ganz tief eingeführt in das Geheimnis: 'Dieser Gekreuzigte ist GOTT, ist Mensch geworden, gezeugt vom Vater als Erlöser.'
Es wurde mir im Geiste gesagt: 'Noch niemals ist dieses Geheimnis der Menschwerdung Gottes in gebührender Weise anerkannt worden.' Gewiß kann dieses Geheimnis in alle Ewigkeit nie gebührend von den Menschen anerkannt werden, weil es ein Geheimnis der unendlichen Liebe Gottes ist, in das der Mensch niemals ganz eindringen kann; aber ich wußte: Christus will im Geheimnis seiner Menschwerdung und Erlösung in einer vertieften Art anerkannt werden, die der kommenden Zeit vorbehalten ist.
Es wurde mir vom Vater gesagt - und es war erschütternd -: 'Ich sandte Ihn.' -Er kam in die Welt. Aber die Welt anerkennt Ihn nicht. Man weist Ihn ab. Man glaubt nicht an Ihn. Dabei war ich in die ergreifende Wirklichkeit des Erlösers versetzt: Es ist etwas furchtbar Ernstes um die Gottheit des Erlösers, um die Tatsache, daß 'Gott seines eingeborenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn hingegeben hat für die Sünden der Welt', um die Wahrheit und die Tatsache also: DER, der da starb, ist wahrer Gott und lebte als Mensch!
Mir schien diese Offenbarung 'vom Vater' zu kommen, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat und der in seinen göttlichen, unendlichen Liebesbeweisen vom heutigen Geist des Unglaubens wie vielleicht noch niemals abgewiesen wird. Der Unglaube der heutigen Zeit ist vor allem ein Abweisen des Erlösers. Ich schaute, wie dieses Abweisen Gottes bzw. des Erlösers zur Kluft, zur erschreckenden Kluft zwischen Gott und der Menschheit geworden ist, aufgerissen durch den Unglauben, und zwar auch bei vielen sich 'gläubig' haltenden Seelen. Es fehlt auch bei den 'Gläubigen' vielfach der lebendige Glaube an die unbedingte Abhängigkeit des Menschen von Gott, und es fehlt besonders der Glaube an die Schrecklichkeit der Sünde und damit der Glaube an die Notwendigkeit und die große Wohltat des Erlösers. Die tiefe, Gott geschuldete Anerkennung des Erlösers und seiner Gottheit ist verflacht und vielfach verschwunden. Die Absicht, in der Gott-Vater den Sohn gesandt hat, wird nicht mehr in gottgewollter Weise, d.h. nicht mehr in lebendigem Glauben, anerkannt. Praktisch glaubt man nicht mehr oder doch zu wenig an den Erlöser und seine Gottheit. Der Glaube aber ehrt Gott am meisten, weil dadurch der Mensch als Geschöpf sich seinem Schöpfer unterwirft. Der Glaube ist eine beständige Huldigung an Gott. - Der Unglaube ist es aber hauptsächlich, der das Strafgericht auf die Menschheit herabgezogen hat, das sich jetzt an ihr vollzieht. Und ich erkannte und schaute den Krieg als ein furchtbares Strafgericht der göttlichen Gerechtigkeit über den heutigen Unglauben.
Als Heilmittel gegen den heutigen Unglauben schaute ich meine besondere Sendung - daß nämlich Christus als Gott im Geheimnis der Erlösung wieder mehr anerkannt werde: 'Ich habe dich erwählt, daß dieses göttliche Geheimnis mehr anerkannt werde.' - Christus offenbart sich deshalb tiefer im Geheimnis seiner Gottheit und Menschheit als Erlöser, um den Glauben an den Gott-Menschen neu zu beleben.
Schon im Januar dieses Jahres (1944) hatte ich in der Kapelle der Ursulinen (in Rom) eine ähnliche Offenbarung vom Vater: 'Möchte doch eine Seele gebührend anerkennen die Unermeßlichkeit meiner göttlichen Liebe, mit der ich Meinen Sohn in die Welt gesandt habe als Erlöser! Welche Verherrlichung wäre das für Mich!' - Diese Worte des Vaters hatten eine solche Wirkung auf mich, daß ich glaubte, ich müsse mich auf den Boden werfen, um in Dankbarkeit für das göttliche Geschenk des Erlösers immer vor dem Vater auf den Knien zu liegen. - Ja, Gott in der absoluten Wirklichkeit seiner Existenz zu erfahren, das ist etwas Erschütterndes.
Freilich, ganz kann die Unermeßlichkeit und Unendlichkeit der Wirkungen der Erlösungsakte den Menschen nicht erklärt, sondern nur im Himmel geschaut und hienieden in etwa in den Früchten erlebt werden. Es muß aber der Glaube an die Unermeßlichkeit und die göttlich-unendlichen Wirkungen der Erlösung neu geweckt und belebt werden" (15.3.1944).
"Christus kann auch ganz nach seinem Belieben und nach seinen Absichten eine Seele ganz und in besonderer, stellvertretender Weise dem allgemeinen Wohle seiner Kirche zur Verfügung stellen, indem Er diese Seele für ein besonderes geistiges Ziel befähigt, sie vor seinen Augen erhöht und eine besondere geistige Fruchtbarkeit erreichen läßt und sie dann nach seiner Gerechtigkeit wiederum als einen 'geistigen Schatz' seiner Kirche zur Verfügung stellt. Alles Gute ist ja in Ihm und durch Ihn erworben worden und ist und bleibt daher in gewissem Sinne sein Eigentum, das Er wiederum auch anderen Seelen zuwenden kann. Infolge seiner Einheit mit der Kirche und den Seelen gehört zudem alle Gnade in Ihm in einem wahren Sinne auch allen anderen Seelen und wird gleichsam auch deren Eigentum.
Auf diese Weise wurde mir durch den Heiland die Gnade der geistigen Mutterschaft verständlich und annehmbar gemacht. Weil sie mir vom Geiste Gottes in so einfacher und wie selbstverständlicher Weise erklärt und dargelegt wurde, wagte ich auch meinerseits in dieser Gesinnung der Einfachheit, auf die Annahme dieser Gnade einzugehen. Nur auf diese Weise konnte ich verstehen, daß und wie Christus einer Frauenseele eine so merkwürdige (selbstverständlich verborgene) Stelle in seiner Kirche zuweisen könne.
In gleicher Weise und mit gleichem Recht kann der Heiland eine bestimmte geistige Erneuerung (seiner Kirche) in einer Seele begründen, sie in ihr beginnen und vorzeichnen, und Er kann diese Seele dann als Opfer und Werkzeug seiner Absichten der Gesamtkirche übergeben und zur Verfügung stellen. – In diesem Sinne zeigte Er sich mir als der Herr aller Gnaden, als das Haupt der Kirche, in dem alle Gnade und Wahrheit ist, in dem alles Gute seinen Ursprung hat, von dem es ausgeht und weiterfließt zum allgemeinen Heile der Seelen. Es steht ganz bei Christus, in seiner göttlichen Allmacht eine Seele zum geistigen Heile der Allgemeinheit als Opfer und Werkzeug zu benützen, wann und wie er will und es Ihm gefällt" (14.7.1944).
Der Lebensweg Maria Sielers war ein Leidensweg. Gehört das Leiden in jedes Christenleben, dann umso mehr in das Leben mystisch begnadeter Seelen. Maria Sieler hat dabei eine sehr bittere Erfahrung machen müssen:
"Ich will selbst dein Kreuz sein, an dem du gekreuzigt wirst'; wiederholt hat mir das in den Jahren 1920 bis 1930 der Heiland angekündigt und es mich auch vorauserleben lassen. 'ER' das Kreuz – in so inniger Gemeinschaft mit Ihm! Welche Freude, welches Verlangen, welche verzehrende Glut weckten solche Versprechungen Jesu immer in meiner Seele!
Ach, wie langsam und zögernd schien Jesus mir seine Worte wahrzumachen in mir, da ich mich zuzeiten fühlbar verzehrte im Verlangen nach Leiden und nach Opfern für Ihn. All das Wenige aber, was ich selbst tun konnte, um mein Leidens- und Opferverlangen zu stillen, war wie ein Tropfen kalten Wassers auf einem heißen Stein.
Die liebeshungrige Seele meint, sie müsse selbst das Werk ihrer Heiligung vollbringen; es ist eine glühende Aktivität in ihr, die sich nicht genugtun kann, um Jesu Liebe zu erwidern und seinen einladenden Worten zu entsprechen. Und der Herr will dieses eigene Streben der Seele zur Aktivität gegenüber seinen Liebesforderungen. Das gibt der Seele Großmut und geistige Schwungkraft. Es sind gleichsam 'die ersten Ergüsse der Liebe' zwischen Jesus und der Seele, wie in einer seligen Verlobungszeit, in der ein Liebender den anderen gleichsam übertreffen will im gegenseitigen Versprechen der Liebe und Treue und im Wahrmachen des Versprochenen.
Später, wenn dann die Seele schon mit Ihm den Aufstieg nach Kalvaria begonnen hat, klingen seine Worte an die Seele härter und tiefer: 'Ich selbst will deine Kreuzigung vornehmen.' Die Hand des Herrn hat unterdessen die Seele schon schmerzhaft berührt in schmerzlichen Entblößungen, weil Jesus die Seele, jede Seele, 'allein' mit sich nimmt. Aber bei diesem ersten Aufstieg nach Kalvaria, wo es sich um Überwindung der niederen Höhen handelt, ist dies noch der süßeste Trost, daß es 'Seine Hand' ist, spürbar und fühlbar erlebt. Viel härter aber wird es, wenn seine (fühlbare) Hand sich zurückzieht; die Seele tritt dann in das tiefere Geheimnis des Kreuzes ein, wobei der Herr sich meist gewisser Umstände und Menschen bedient zur Läuterung und Heiligung der Seele.
Es braucht aber lange Zeit und vielleicht viele Jahre, bis die Seele ganz eingeht auf die Art und Weise, wie sich der Herr der Umwelt und der Menschen bedient und sie als seine unmittelbaren Werkzeuge benützt, mittels deren Er selbst sein Werk in der Seele vollbringt. Wie lange sträubt sich die arme Seele unwillkürlich gegen diese Art der Läuterung! Wie schwer empfindet sie es zunächst, sich von Menschen ihre Fehler sagen zu lassen, Ungerechtigkeiten hinzunehmen, gewisse Rechte sich entziehen zu lassen, die sie an sich behaupten und beanspruchen könnte, immerfort der 'Kleine', der Erniedrigte, kurz der Mensch zu sein, der in allem zu gehorchen, zu schweigen und sich nach den anderen zu richten hat!
Wenn aber bei all diesen 'Verkürzungen' des eigenen Rechtes die 'Hand der Menschen' eingreift, so ist es im Grunde doch der Herr selbst, der durch sie sein Werk in der Seele vollbringt, wobei diese in der Hauptsache nur passiv mitgehen kann. Der Übergang von der größeren Aktivität der Seele zu größerer Passivität besteht vor allem darin, daß die Heiligung der Seele nun mehr im harten 'Hinnehmen' als im liebevollen 'Geben' geschieht. Und dieses harte Hinnehmen fordert der Herr durch Menschen oder durch 'zufällige' Ereignisse und Umstände, in die sich die Seele hineingestellt sieht. Es wird eine herbe Selbstentäußerung an der Seele vorgenommen, aber es scheint nicht mehr die milde Hand des Heilandes daran beteiligt zu sein, sondern es sind 'Feindeshände', denen die Seele überliefert ist. Es scheint nicht mehr wahr zu sein das süße Wort, das einst so verlockend die Seele durchleuchtet hat: 'Ich selbst will diese Kreuzigung vornehmen!' Darauf hatte die Seele nur eine Antwort: 'Eben weil Du es bist, o wie gerne will ich mich kreuzigen lassen! Mach schnell, o Herr, eile und zögere nicht länger, denn Deine Hand ist süß, und in Dir und an Deinem Kreuze ruhe ich so gut!'
Aber nun zieht sich der Herr scheinbar zurück und läßt die Menschen das tun, was Er selbst zu tun versprochen hat. Welche Enttäuschung! Mit Freuden, so scheint es der Seele, würde sie die Entäußerung ihrer Rechte, ihrer Ehre usw. hinnehmen, wenn der Herr unmittelbar selbst das in ihr vornehmen würde — aber dieses Hinnehmen von Menschen, die vielleicht sittlich und religiös tiefer stehen oder denen man in manchem überlegen scheint: das scheint unerträglich zu sein. Und doch geht der Heiland gerade diesen Weg der Selbstentäußerung in den Seelen seiner Auserwählten.
Welch großen geistigen Fortschritt haben wir gemacht, wenn wir auch in all diesen 'mittelbaren Einwirkungen' nur die Hand Gottes sehen, uns wahrhaft ihr beugen, uns entäußern, reinigen, läutern und damit unmittelbar von ihr leiten lassen. Wie lange währt die Geduld des Herrn, bis wir ihn endlich verstehen, und welch lange Umwege muß Er wegen unseres Unverstandes in seiner Güte zum Zweck der Heiligung unserer Seele machen. Wollten wir rascher auf die Art seiner Führung eingehen, so könnten wir uns vielleicht manches von der Länge des Weges ersparen. Aber so töricht und widerspenstig ist der Mensch, daß er geradezu gezwungen werden muß unter das süße Joch Christi. Es fällt dem Menschen so schwer, den Herrn zu erkennen in all seinen liebevollen Fügungen und Handlungen zugunsten seiner Seele, in all dem, was nach den Absichten Gottes der Seele 'zum Fortschritt und zum Frieden dienen' soll. Welch große Gnade ist es, wenn Jesus einmal die Seele sein unmittelbares göttliches Wirken auch in den äußeren Umständen und Ereignissen erkennen und zu ihrem geistigen Fortschritt wirksam, ja gleichsam greifbar werden läßt. In diesem Falle wirkt aber dann schon ein unmittelbares Licht seiner Gnade, das für gewöhnlich durch einen langen, furchtbaren Opferweg in der Seele vorbereitet ist. Die Mehrzahl der Seelen geht wohl den langen Weg hochherziger Hingabe sowie Opfer- und Leidensbereitschaft im Dunkel der 'mittelbaren' Entäußerung und Läuterung durch Menschen und Umstände, wobei auch den Mächten der Finsternis eine gewisse Freiheit der Betätigung gegeben sein kann.
Mit dem Lichte jener großen Gnade leuchtet dann in der bedrängten Seele wieder das frohe Innewerden, ja das unmittelbare Erfassen der Hand Christi auf, die in allen Ereignissen unmittelbar, wenn auch verborgen, tätig war und in deren beglückender Nähe sich die Seele nun wiederfindet in ihrer freudigen, großherzigen Hingabe. An diesem Punkte angelangt, hat wahrlich jedes Opfer, jedes Leiden das Herbe verloren, mögen auch noch so viele mittelbare und verwickelte Umstände es veranlaßt und damit die Verwirklichung der vollen Hingabe der Seele an Gott gefördert haben. Nun versteht die Seele dankbar die liebevolle, gleichsam 'immer tätige' und in allem unmittelbar mitwirkende Hand Gottes, die sich nie genugtun kann, um die arme Seele zur unmittelbaren Nähe und Vereinigung mit Ihm zu führen" (24.7.1944).
"Das Höchste, Erhabenste und Ergreifendste in Christus war aber seine göttlich-menschliche Liebestätigkeit. Ja, man kann sagen: Das beherrschende Zentrum des gottmenschlichen Innenlebens Christi war seine Liebe, die von Anfang an freiwillig bereit war 'zu sterben'. Diese göttlich-menschliche Todesbereitschaft aus Liebe, die ständig und jeden Augenblick das Herz des Erlösers erfüllte, ist das Wunderbarste von allem Wunderbaren in Christus (soweit ich es bisher erlebte).
Der Erlöser, das göttliche Wort, kam und stieg herab, 'um zu sterben', noch genauer gesagt: um menschlich leben und mittels dieses menschlichen Lebens sterben zu können. — Die göttliche Selbsthinopferung stand im Mittelpunkt des Zweckes und Zieles der Menschwerdung. Diese göttliche Selbsthinopferung sollte ermöglicht werden durch die menschliche Natur, die der göttlichen Person die Mittel zu dieser Selbsthinopferung lieferte; denn Gott ist in sich leidens- und sterbensunfähig.
Im Gegensatz zum gewöhnlichen Menschenleben hatte das Erlöserleben Christi nicht einen Selbstzweck für die göttliche Person, sondern nur den Zweck für die Erlösung des gesamten Menschengeschlechtes. — Es liegt sonst in der menschlichen Natur, sich ein Leben für den eigenen Gebrauch und Nutzen zu formen. Der Mensch kann an sich sein Leben an niemand und für niemand 'abtreten'; es ist vielmehr seine individuelle Eigenheit und sein unveräußerliches Eigentum. Selbst die Mutter, die neues Leben gibt, erfüllt damit ihren eigenen Lebenszweck, der eben darin besteht, anderen das Leben zu geben, und sie findet darin ihre eigene Genugtuung. Und wenn ein Mensch oder ein Held sein Leben freiwillig für die Mitmenschen opfert, so hat er doch vor dieser Selbsthingabe sein Leben für sich gelebt und genossen (im guten Sinn): Zudem bleibt sein Opfer, so edel es sein mag, doch ein menschliches, beschränktes Opfer. — Nur im Erlöser besteht die göttliche Tatsache, daß Er einzig und allein um der gefallenen Menschheit willen das Menschenleben angenommen hat, und zwar in seiner Liebe es nur angenommen hat zum Zwecke der selbstlosen Hinopferung für die Menschen, also zum Zweck der Zerstörung dieses Lebens. Im Menschenleben Christi war also in einem gewissen Sinne das Erste in seinen Gedanken und Absichten dies, was in unserem Leben das Letzte ist, nämlich das Sterben, das Christus freiwillig wählte und in seiner Liebe zum Hauptzweck seines Lebens machte, während wir Menschen den Tod gezwungen auf uns nehmen und den Gedanken daran nach Möglichkeit fliehen" (14.101944).

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Schau auf die Kirche

Man beachte, daß das Folgende im Jahre 1946 niedergeschrieben ist, also zu einer Zeit, da man ganz allgemein eine neue Blütezeit der Kirche erwartete. Maria Sieler erkannte damals schon die 'schwachen Stellen' in der Kirche. Heute müssen wir zugeben, daß sie nur allzu recht gehabt hat.
Sie schreibt:
"In der vergangenen Nacht hatte ich — nach großen inneren Leiden — ein inneres Schauen und Erkennen über die gottgewollte geistige Machtstellung der Kirche ...
Heute schwindet auch in der Kirche vielfach das dem Gerichte Gottes unterworfene Schuld- und Sündenbewußtsein. In einem äußerlich geordneten Verwaltungsapparat sieht man weithin zu ausschließlich auf 'äußere Ordnung' in der Kirche, und man meint, damit der sich auf Christus stützenden Tradition zu genügen.
Ich schaute, wie die einzelnen Priester in einem erschreckend hohen Maße sich ablösen von der wahren, durch Christus grundsätzlich gestifteten und von Ihm als verpflichtend gegebenen Tradition, die in erster Linie und hauptsächlich eine moralische Umwandlung der einzelnen Glieder der Kirche vorsieht. Man hält die christliche Lehre zwar hoch, aber man wertet sie nicht tief genug aus in ihren moralischen Inhalten und Forderungen.
So herrscht heute eine gewisse allgemeine Verflachung in der Auslegung und Darlegung der von Christus gebrachten und von Ihm gewollten Sittenlehre.
Man deutet auch das folgende Wort Christi zu ausschließlich im Hinblick auf das äußere Ziel, nämlich das Wort: 'Die Mächte der Unterwelt werden sie — die Kirche — nicht überwältigen' (Mt 16,18). In einer nicht ganz richtigen Auslegung dieses Wortes gibt man sich vielfach einer falschen Ruhe hin, indes die Machenschaften und Kunstgriffe der Hölle in ungeheurer Weise in den einzelnen Seelen überwältigend und vernichtend wirken. Weitgehend — so schaute ich — verwechselt man eine innerlich in Christuswachsende und blühende Kirche mit einer äußeren, gutgegliederten und gestützten Organisation. Die äußere 'Ruhe und Wohlgeordnetheit' ist aber ein falsches Spiel der Hölle. Ich schaute ein böses Ungeheuer mit weitaufgesperrtem Rachen sich gegen das Papsttum stürzen, um es zu verschlingen. Ob der Herr den äußeren Angriff dieses bösen Ungeheuers abwehrt oder ob Er es wirklich zu einem äußeren Kampfe kommen läßt, um eine Säuberung und Scheidung der Geister herbeizuführen, das kann ich nicht unterscheiden.
Der Herr will aber auf alle Fälle die Lehrverkündigung mit Bezug auf die Sitten vertieft haben; denn mit der heute weithin üblichen Auslegung und Darlegung dieser Lehre erreicht man im allgemeinen keine moralische Hebung der einzelnen Seelen. Christus will seine Kirche zur 'Quelle' hinführen, zu einer allgemeinen Vertiefung, um die heutigen Wunden der Kirche zu heilen und den drohenden Abgrund zu überbrücken. Dadurch, daß man die Seelen hochreißt und höher hebt, wird es ihnen möglich, das Morsche und Schadhafte zu 'überspringen' und 'unten' zu lassen.
Ich schaute ferner die erschütternde Bedeutung der Wahrheit, daß ein Gott nicht umsonst Mensch geworden ist oder Mensch werden wollte. Die Tatsache der Menschwerdung hat vielmehr sehr ernste Folgerungen für die Menschheit. Es bleiben auch heute die gleichen Forderungen bestehen, durch die Christus selbst seine Apostel zu 'neuen Menschen' umgeformt hat.— Ich sah den heutigen Papst sterben gleichsam auf den Trümmern der in einen großen Kampf geratenen 'Kultur', die man vielfach mit dem Christentum verwechselt. Ob mir dies nur als geistiges, symbolisches Bild vorgeführt wurde oder ob es zu einer erschütternden Wirklichkeit wird, weiß ich nicht.
Die Menschwerdung, die ihre Ursache im Sündenfall im Paradiese hatte und durch die Christus den Sündenfall wiedergutmachen wollte, soll eine aktuelle und wirkliche Umwälzung in den einzelnen Seelen zur Folge haben.
Heute hat sich in der Kirche ein organisiertes Lehrsystem ausgebildet, das zuwenig auf die Folgerungen und auf die notwendige Umwandlung der Geister Bezug nimmt und das in der gut organisierten, systematischen Lehrverkündigung allein eine Glanzzeit der Kirche sieht, während die Seelen tatsächlich dabei 'leer' bleiben. Der heutige, hochkultivierte und verfeinerte Mensch versteht es ja gut, in sich selbst die Konsequenz der christlichen Lehre durch seine eigene feine Geistesrichtung zu verfälschen und sich den wahren Folgerungen und Forderungen der Glaubenslehre zu entziehen.
Ich schaute, wie das persönliche Schuldbewußtsein und damit der Bußgeist in ganz großem Ausmaß geschwunden sind. Ich wurde hingewiesen auf das Wort: 'Mein Reich ist nicht von dieser Welt' (Joh 18,36), das heißt: Es ist ein Reich des Geistes in den Seelen. Dieses Reich wird nach außen in der Organisation der Kirche sichtbar, aber man darf es nicht mit falscher Ruhe und 'Ordnung' verwechseln. Das Corpus Christi mysticum ist das Wachstum Christi in den Seelen mit seinen vielfachen gottmenschlichen Vollkommenheiten. Der Gottmensch will eine moralische Umwälzung und ein sittliches Wachstum in den Seelen hervorbringen und sich damit ständig in der Kirche mit seinen sittlichen Vollkommenheiten gleichsam 'erneuern'" (26.12.1946)