Das allgemeine Ziel des Herrn gibt sie mit folgenden Worten an:
"Jesus will abermals menschliches Tun und Wollen gebrauchen, um in seiner Menschheit der Kirche nahe zu kommen. Zuerst soll sein Leben langsam erlebt werden in seinem kleinsten Kinde (sie meint damit sich selbst), dann gnadenvoll gegeben werden in seinen Priestern. - Jesus will in seiner Kirche leben; sein Geist, Er selbst will sie erneuern in seinen Priestern. Er fängt so klein und im Verborgenen an, sich opfernd mit dem Herzblut seiner kleinsten Kinder (an dieser Stelle scheint sie sich selber und P. Baumann S.J. vor Augen zu haben); es soll dies der Same sein für eine spätere Ernte. Wir haben keine andere Aufgabe als diese, alles andere macht Er selbst" (6.2.1940). Als sie drei Wochen später in der Gruft von St. Peter in Rom vor dem Marienaltar der heiligen Messe beiwohnte und alles "ihr", nämlich der Gottesmutter, überließ, erlebte sie "Jesu Tun und Leben fühlbar" und erkannte gleichzeitig ihre geistige Aufgabe: "Das Leben Jesu leben als Offenbarung für die Kirche, für die Priester; nach diesem seinem Leben möchte Jesus alle Priester umgestaltet sehen" (28.2.1940). Vor allem ging es "um das Erleben seiner inneren Erlöserart", wie ihr der Herr selbst erklärte, da Er "das innere Erlösungsgeheimnis seinen Priestern und seiner Kirche" offenbaren wolle.
Damit der Herr sich Maria Sielers für seine Absichten bedienen konnte, forderte er von ihr die vollkommene Hingabe an ihn, verbunden mit einem völligen Verzicht auf sich selbst. In diese Forderung war eingeschlossen: "Verzichten auf die eigene, menschliche Sorge, wie sich 'mein Werk', das Priesterwerk, entwickeln wird. Das menschliche Ich möchte ja voranmachen und 'etwas für Ihn tun'; es ist mir aber, als würde mir alles aus der Hand genommen, weil Er es in die Hand nimmt. Er gebraucht mich dazu, aber es ist mir vollständig verborgen, in welcher Art, doch weiß und fühle ich, daß Er durch sein Wirken in mir 'Licht' macht für seine Absichten. Es ist mir alles geheimnisvoll dunkel; ich spüre, daß ich das Werkzeug sein werde, aber alles 'tut' Er. Es ist daher eine Wendung sowohl in meinem Innenleben wie auch im Äußeren: Was früher meine Arbeit und mein Bemühen noch schien, das übernimmt jetzt Jesus ganz selbst. - Ich sehe dabei, wie selbstisch der Mensch ist, wie gern man selbst etwas 'tun' wollte; man spürt, wie man - ohne persönlichen bewußten Willen - an sich, am Erfolg hängt; man spürt das erst ganz, wenn dem Eigenen alles aus der Hand genommen wird.
Und das letzte, was in dem von Jesus geforderten und bewirkten Verzichte liegt: Meine Zukunft, ich selber bin mir weggenommen. All meine Kräfte, Fähigkeiten, Aktmöglichkeiten dienen seinem sich gleichsam wiederholenden Sein. Jesus will das große Wunder in mir wirken und vollenden: sich offenbaren, sich erlebt und gelebt zeigen, wiederholt durch meine menschlichen Fähigkeiten. Jetzt aber vollzieht sich in mir meine entscheidende, letzte, volle Besitznahme von mir. Er gebraucht alles in mir für sich, so ähnlich wie Er einst seine eigenen Lebenskräfte gebraucht hat, um bestehen zu können" (31.1.1941)
Maria Sieler weiß, daß es "ein Naturgesetz und als Bestimmung in die Seele gelegt ist, daß sie sich um sich selbst kümmere und daß jeder Mensch gemäß dem von Gott gesetzten Plan sich selbst behauptet" (ebd.). Maria Sieler hat diese vollkommene Hingabe und den völligen Verzicht auf sich selbst willensmäßig schon längst geleistet. Aber immer wieder wird sie sich - wie wir noch sehen werden - Sorgen machen um ihre eigene Zukunft, um eine neue Wohnung, um das zu gründende Priesterwerk, ja um ihren eigenen Tod, aber immer wieder wird sie sich zu der vom Herrn geforderten Hingabe und zum völligen Verzicht auf sich selbst durchringen.
Wenn andere Mystiker das Leiden Jesu "geschaut" haben, wie Anna Katharina Emmerich oder Therese Neumann, oder Jesu körperliche Leiden mitgelitten haben wie die Stigmatisierten, so sollte Maria Sieler das Innenleben Jesu als Erlöser nachleben. Oder anders ausgedrückt: Christus wollte in ihr sein inneres Leben als Erlöser noch einmal leben, und das sollte die Erneuerung der Priester herbeiführen: "Eine vertiefte Auffassung der Erlösungslehre wolle Jesus seiner Kirche als neue Quelle der Gnaden offenbaren" (13.7.1940).
Mit der Zeit wunderte sich Maria, daß der Herr immer nur von ihrem Innenleben, von ihrem Eingehen in Ihn und seinen Erneuerungsplänen sprach, aber nichts von seinen äußeren Absichten und von der Gründung jenes Werkes sagte, das Er plante. Da wurde ihr innerlich die Antwort gegeben:
"Kümmere du dich allein darum, daß du ganz in Mich aufgenommen werdest; ich werde so Großes tun, daß du es nicht ertragen könntest." Maria fügte hinzu: "Wenn ich es jetzt schon wüßte, würde es meine Armseligkeiten zu sehr beschämen" (23.2.1941).
Ähnlich einige Wochen später: "Glaube mir, du bist das Werkzeug für meine Absichten. Das Erleben meiner Erlöserliebe, für das Ich dich befähige, ist die Offenbarung meines Herzens an die Priester und ist der Beweis für die Schenkung meines Herzens" (21.7.1941).
Dann fährt der Herr fort:
"Diese Offenbarung meiner Erlöserliebe ist vornehmlich für die lehrende Kirche, für die Priester bestimmt. Die Gläubigen könnten mich nicht so verstehen; an diese gelangt es durch die Priester. Durch die Früchte, die es in ihnen hervorbringt, wird es Gemeingut der ganzen Kirche werden." - Jesus drängte mich erneut, daran zu glauben, daß dieses Erleben seiner Erlöserliebe bzw. seiner inneren Erlöserleiden durch die Schenkung seines Herzens an die Priester begründet ist und daß dies der Zweck all seiner Gnaden sei. Von diesem Standpunkt aus soll ich mein Innenleben betrachten und mich selbst als Werkzeug ansehen. - Dieser letzte Zweck würde mir auch alle Leiden leichter machen" (ebd.)
Und weiter:
"Jesus will die Leiden seines Herzens in mir wiederholen, damit auch sein Inneres offenbar werde für die Priester" (ebd .)
Eine ähnliche Vereinigung mit seiner göttlichen Person, wie Er sie ihr gegeben hat, will der Herr allen Priestern anbieten; das bedeute "die Schenkung seines Herzens"; "Die Priester sollen daran glauben und diese Gnade anstreben und sich um sie bemühen durch die Überwindung der erbsündlichen Unordnung" (ebd.) ...
Ihre zweite Aufgabe sollte darin bestehen, daß sie durch ihre inneren und äußeren Leiden einen Gnadenschatz für die Priester erwerbe... Die Aufgabe, die der Herr Maria Sieler zugedacht hatte, fand ihre Krönung in der geistigen Mutterschaft:
"Der Heiland hat mir heute ein kostbares, aber merkwürdiges Versprechen gegeben: Er stellte mich als 'geistige Mutter' seiner Kirche bzw. dem Priestertum zur Verfügung. Alle meine Opfer und Leiden, alles erkämpfte und erlittene Gute, alle moralische Vollkommenheit, die außergewöhnliche, meiner geistigen Aufgabe entsprechende Vereinigung mit Ihm, alles dies - so läßt Er mich wissen - ist ein geistiger Schatz für das Priestertum. All das seelisch Errungene wird irgendwie fruchtbar in den Priestern. Alle Gnaden meines Innnelebens sind gleichsam Eigentum des Priestertums. Die Priester können daraus schöpfen, und jeder wird vom Herrn das erlangen, worum er Ihn bittet; denn dieser Schatz ist opfernd von mir - in Christus - vorverdient worden ... So wie eine Mutter ihre Anlagen auf ihre Nachkommenschaft überträgt, so wird mein inneres Leben und alle inneren Gnaden bzw. die erreichte Vereinigung mit Christus, wie eine Vererbung weitergeleitet, in der Kirche wirksam sein ... Zur Bekräftigung seines Versprechens erklärte mir der Heiland: 'Ich verpfände dir mein Wort dafür' (14.7.1944).
Ein Letztes gehörte zur Aufgabe Maria Sielers: die Sühne für die Priester. Wir haben schon die Klage des Herrn zitiert, daß die Priester sein Herz verwundet hätten, daß sie die Dornenkrone um sein Herz seien. (Vgl. Mélanie Calvat, nachstehendes Zitat!)
"Wissen wir im übrigen nicht, daß unser Herr verurteilt, gekreuzigt wurde
von den Priestern? ... Sind es nicht die Priester, die die bittersten Vorwürfe
erhielten von Seiten des Sohnes Gottes? Und heute noch, ja, ja, sind es die
Priester, die die Ursache all unseres Unglücks sind, weil sie nicht treu sind
ihrer Berufung." (Mélanie in ihrem Brief vom 10.7.1882 an Abbé Le Baillif)
Dann fährt sie fort:
"Dementsprechend ist auch die Sühne der Seelen für die Nachlässigkeit der Priester schmerzlicher, schärfer und leidvoller; die Sühneleiden für die Priester sind gleichsam eine Wiederholung des Leidens, das verursacht wurde durch die Dornen, die das Herz Christi verwundet haben" (18.5.1945).
Das Werk des Hohenpriesters
In jenen Jahren ließ der Herr Maria Sieler auch erkennen, daß Er zur Erneuerung des Priestertums ein eigenes Werk gegründet wissen wolle: "Das Werk des Hohenpriesters". Oft spricht sie auch einfach nur vom "Priesterwerk" oder vom "Priesterinstitut". Über dieses zu gründende Werk, das sie bis zu ihrem Tode (29.7.1952) beschäftigen wird, erfahren wir erst aus ihren Tagebuchaufzeichnungen des Jahres 1937. Nur einmal erwähnt sie in einem Brief an P. Michael Lenz aus dem Jahre 1930 das "Werk" mit einer Selbstverständlichkeit, daß man annehmen muß, P. Michael sei darüber im Bilde gewesen, was sie damit meinte. Sie hat ihn ja einigemale in Graz besucht, und was sie ihm da erzählt hat, wiederholt sie natürlich nicht in ihren Briefen.
Der Herr sagte ihr: "Ich will meine Liebe gleichsam verströmen lassen auf alle Priester meiner Kirche. Ich will sie besonders in einem Werke ausströmen lassen, das ich bilden werde für meine Priester. Das soll zur Zentrale der Gnaden werden und gleichsam das Senfkörnlein, das sich über die ganze Welt verbreiten soll, da ich alle Priester an mein Herz ziehen will" (7.5.1937).
"Das Werk soll den Namen haben: 'Das Werk des Hohenpriester', weil ich selbst der Gründer des Werkes sein werde. Darin werden sich meine Absichten verwirklichen, die ich für die Erneuerung des Priestertums habe. In diesem Werk will ich eine Anzahl Priester bilden, die ganz nach meinem Geiste leben, so wie ich sie dem heutigen Zeitgeist entgegenstellen will" (14.8.1937).
Vor allem durch das Werk des Hohenpriesters will der Herr den Priestern jene "neuen Gnaden" zuwenden, die er so oft verheißen hat:
"Meiner Gesellschaft will ich den Vorrang geben, diese neuen Gnaden meinen Priestern zu verkünden. Es sollen wirklich neue Gnaden sein. Überall kann man sehen, daß die Priester den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen können und daß der Glaube an ihr Priestertum zu wenig lebendig ist" (ebd.)
Immer wieder verheißt der Herr "neue Gnaden", die er seinen Priestern geben will. Welcher Art sind diese Gnaden?
Maria Sieler beschreibt sie wie folgt:
"Es sind Gnaden, die schon in den Erlöserverdiensten Christi eingeschlossen sind, aber bisher noch nicht allgemein verwertet und eröffnet wurden. - Die Mitglieder (des Werkes des Hohenpriesters) sollen damit das Leben Christi in sich aufnehmen und in allem Christi Stelle einnehmen wollen. Sie sollen in einem vertieften Glauben an ihr Priestersein Jesu Erlöserleben und Erlösersorgen um die Seelen in sich fortsetzen, Christi Interessen und Anliegen ganz und ausschließlich zu den ihren machen, so daß wirklich wahr werde: Der Priester - ein zweiter Christus.
Diese neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und der neuen Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens werden - nach dem Versprechen und dem Willen des Herrn - den Priestern zufließen durch das beständige Mitopfern mit der heiligen Messe. Durch ihre tägliche Mitopferung will der Herr jene geheimnisvolle Verbindung mit seinen Priestern herstellen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen und sie in Ihn umgestalten wird. Alle Priester, die sich mit Christus auf dem Altare opfern und diese Gesinnung in ihr Priesterleben und in ihr Tagewerk hineinzutragen sich bemühen, werden das Leben Jesu in sich verwirklicht sehen. 'Ich will damit' - so spricht der Herr - 'einen Strom neuen Lebens eröffnen, der Ich selbst bin, und sie werden neues geistliches Leben in den Seelen wecken; Ich nehme sie durch ihr Mitopfern in Mich auf und gebe MICH ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.' - Es handelt sich dabei nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitute soll dieser Glaube vorbildlich geübt und vorgelebt werden" (Aus einer Beschreibung des Priesterwerkes vom 4.10.1943)
Der Herr gibt "diese neuen Gnaden jetzt, weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern. Die Priester aber, als die Gott am nächsten Stehenden, sollen als erste diesen versprochenen Anteil am Erlöser und seinen Gnaden in sich erfahren" (ebd.).
"Der Heiland hat mir auch wiederholt versprechend gezeigt: Er wolle diese Gnaden den Priestern 'neu' geben. Ich sah diese Gnaden zuerst niedergelegt in dem zu gründenden Priesterwerke. Ich sah voraus, wie manche Priester dieses Werkes diese Gnaden rascher wie in einer geistigen Umwälzung in ihrer Seele erhielten; andere sah ich diese Gnaden erringen in dem Geiste, der die geistige Grundlage der Genossenschaft bildet, nämlich im beständigen Mitopfern mit Jesus auf dem Altare. Indem sie diese Opfergesinnung Jesu sich in ihrem täglichen Priesterleben zu eigen machen, werden sie als Folge eine Umwandlung in die Gesinnung und in das innere Sein Jesu erfahren ... Im Heiland erlebte ich dann die Fülle seines Verlangens, diese vollen Erlösungsgnaden (gewiß in bestimmten Graden) wie 'neue Gnaden' über seine Kirche auszugießen. Ich sah sein Herz übervoll von diesen Gnaden; ich möchte sagen: Jesus 'litt' unter der Überfülle seiner Liebe und unter dem Verlangen, der Kirche bzw. den Seelen diese Gnaden mitteilen zu können. - Ich schaute diese vollen Erlösungsgnaden dann für alle Seelen offen und wie in nächster Zeit zugänglich gemacht" (28.11.1940).
Eine weitere Umschreibung des Priesterwerkes findet sich im Tagebuch Maria Sielers unter dem 28.2.1941:
"Heute sah ich das Priesterwerk in seinem inneren Aufbau viel klarer. Es wird auf die tiefste Grundlage des Glaubens gestellt, wie Jesus es mir schon früher gezeigt hat. Das Kommen des Menschen von und zu Gott, das Erlösungsgeheimmnis, Christus bis ins Tiefste verstanden: Das wird in den Mittelpunkt des Instituts gestellt. Daraus werden die Folgerungen für den Priester gezogen: der Priester an Christi Stelle das Erlösungswerk in der Kirche fortsetzend. Zuerst soll er sich bemühen, in tiefem Glauben an die wirksame Gnade Christi dessen Absichten bei der Erlösung in sich voll zu verwirklichen. Ich sehe so klar: Nach dem Maße des Glaubens fließen die Gnaden Christi; das Entscheidende ist dieser unbedingte Glaube, vereint mit eigener Mitwirkung, aber auf dem einfachen evangelischen Wege (das heißt im Geiste des Evangeliums).
Im Glauben an Christus lag die Kraft und der Erfolg der Apostel. Der Priester aber ist unbedingt und unmittelbar der, zu dem Christus wie zu den Aposteln sprach: Gehet hin und verkündet das Wort Gottes, verkündet Mich, den der Vater gesandt hat; und wie Mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Ich schaute im kommenden Priesterwerk diese absolute Christuszugehörigkeit: von Ihm gesandt, zutiest verwurzelt im Vertrauen auf die Fülle der Erlösungsgnade; es ist das Zentrum, aber wirkend in größter Einfachheit und Selbstverständlichkeit mit Christus.
Das Priesterwerk, ganz auf den Grundlagen und Absichten Jesu aufgebaut, wird zum 'Senfkörnlein' für die Kirche werden, zum 'Sauerteig', der alles durchdringt. Jesus will im geistigen Aufbau seines Werkes all das verwertet haben, was er mir gezeigt hat und was als grundlegend in meinen Schriften steht: Das Werk sei all den heutigen Zeitübeln als ein sicheres Heilmittel entgegengestellt. Es seien alle Heilmittel gegen die Übel darin enthalten.
Ich habe noch nie so klar die geistige Tiefe des Werkes des Hohenpriesters geschaut und dessen hohe Bedeutung für die Kirche. Jesus fängt klein, mit wenigen, an, wie einst mit seinen Aposteln, aber sein Werk wird so stark, daß es die ganze Kirche erneuernd durchdringt durch sein tiestes Geheimnis: den Glauben. - Der Glaube bildet den einzelnen Priester und damit schließlich in gewissem Sinne die ganze Kirche um. Wie einst die Apostel, so predigt und verkündet der Priester Christus, den Erlöser, den Gekreuzigten."
Selbstverständlich verlangen die "neuen Gnaden" die reinste, persönliche Mitarbeit jedes einzelnen:
"Es gibt keine Gnadengabe, die nicht als erste und wichtigste Voraussetzung einen gewissen hohen Grad der Reinigung der Seelen und damit eine hohe moralische Vollkommenheit hätte.
Maria Sieler denkt hier an noch größere Gnadengaben, die für gewöhnlich nur verliehen werden, wenn schon mit Hilfe früherer Gnaden eine größere Läuterung und ein gewisser sittlicher Hochstand erreicht ist. Aber auch so bleibt Gott noch absolut frei, höhere Gnaden zu schenken oder nicht. Auch durch eine noch so tiefe Läuterung und eine "noch so hohe moralische Vollkommenheit" kann man höhere Gnaden nicht "verdienen" oder Gott gleichsam zwingen, weitere höhere Gnaden zu verleihen. Die Beschreibung der "neuen Gnaden" ist gleichzeitig eine Umschreibung des Zieles des Werkes des Hohenpriesters.
Das "Priesterwerk" ist nicht gedacht als allgemeine Priestervereinigung, sondern als "Zusammenschluß von Priestern, die zuerst auf jene tiefsten Absichten der unendlichen Liebe Gottes eingehen und diese neuen Gnaden sich selbst aneignen wollen. Sie sollen ferner diese Gnaden theologisch begründen und dem gesamten Priestertum zuzuwenden suchen ... Sie werden das Zentrum sein, von dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden. Dazu werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr eigenes Beispiel dienen. Nur jene, die die aufgestellten Grundsätze theologisch und praktisch beherrschen, werden sie anderen priesterlichen Mirtbrüdern mitteilen können. Daher müssen von Anfang an Theorie und Praxis ohne Halbheit und Kompromiß zusammengehen ... Das Priesterwerk soll übernational sein und kann Ordens- und Weltpriester umfassen" (ebd.)
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MARIA SIELER:«ERNEUERUNG DER KIRCHE»
Aus dem Tagebuch der Maria Sieler
"In der Kirche des hl. Eustachius, vor der ergreifenden Kapelle des gekreuzigten Heilandes, wurde ich heute ganz tief eingeführt in das Geheimnis: 'Dieser Gekreuzigte ist GOTT, ist Mensch geworden, gezeugt vom Vater als Erlöser.'
Es wurde mir im Geiste gesagt: 'Noch niemals ist dieses Geheimnis der Menschwerdung Gottes in gebührender Weise anerkannt worden.' Gewiß kann dieses Geheimnis in alle Ewigkeit nie gebührend von den Menschen anerkannt werden, weil es ein Geheimnis der unendlichen Liebe Gottes ist, in das der Mensch niemals ganz eindringen kann; aber ich wußte: Christus will im Geheimnis seiner Menschwerdung und Erlösung in einer vertieften Art anerkannt werden, die der kommenden Zeit vorbehalten ist.
Es wurde mir vom Vater gesagt - und es war erschütternd -: 'Ich sandte Ihn.' -Er kam in die Welt. Aber die Welt anerkennt Ihn nicht. Man weist Ihn ab. Man glaubt nicht an Ihn. Dabei war ich in die ergreifende Wirklichkeit des Erlösers versetzt: Es ist etwas furchtbar Ernstes um die Gottheit des Erlösers, um die Tatsache, daß 'Gott seines eingeborenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn hingegeben hat für die Sünden der Welt', um die Wahrheit und die Tatsache also: DER, der da starb, ist wahrer Gott und lebte als Mensch!
Mir schien diese Offenbarung 'vom Vater' zu kommen, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat und der in seinen göttlichen, unendlichen Liebesbeweisen vom heutigen Geist des Unglaubens wie vielleicht noch niemals abgewiesen wird. Der Unglaube der heutigen Zeit ist vor allem ein Abweisen des Erlösers. Ich schaute, wie dieses Abweisen Gottes bzw. des Erlösers zur Kluft, zur erschreckenden Kluft zwischen Gott und der Menschheit geworden ist, aufgerissen durch den Unglauben, und zwar auch bei vielen sich 'gläubig' haltenden Seelen. Es fehlt auch bei den 'Gläubigen' vielfach der lebendige Glaube an die unbedingte Abhängigkeit des Menschen von Gott, und es fehlt besonders der Glaube an die Schrecklichkeit der Sünde und damit der Glaube an die Notwendigkeit und die große Wohltat des Erlösers. Die tiefe, Gott geschuldete Anerkennung des Erlösers und seiner Gottheit ist verflacht und vielfach verschwunden. Die Absicht, in der Gott-Vater den Sohn gesandt hat, wird nicht mehr in gottgewollter Weise, d.h. nicht mehr in lebendigem Glauben, anerkannt. Praktisch glaubt man nicht mehr oder doch zu wenig an den Erlöser und seine Gottheit. Der Glaube aber ehrt Gott am meisten, weil dadurch der Mensch als Geschöpf sich seinem Schöpfer unterwirft. Der Glaube ist eine beständige Huldigung an Gott. - Der Unglaube ist es aber hauptsächlich, der das Strafgericht auf die Menschheit herabgezogen hat, das sich jetzt an ihr vollzieht. Und ich erkannte und schaute den Krieg als ein furchtbares Strafgericht der göttlichen Gerechtigkeit über den heutigen Unglauben.
Als Heilmittel gegen den heutigen Unglauben schaute ich meine besondere Sendung - daß nämlich Christus als Gott im Geheimnis der Erlösung wieder mehr anerkannt werde: 'Ich habe dich erwählt, daß dieses göttliche Geheimnis mehr anerkannt werde.' - Christus offenbart sich deshalb tiefer im Geheimnis seiner Gottheit und Menschheit als Erlöser, um den Glauben an den Gott-Menschen neu zu beleben.
Schon im Januar dieses Jahres (1944) hatte ich in der Kapelle der Ursulinen (in Rom) eine ähnliche Offenbarung vom Vater: 'Möchte doch eine Seele gebührend anerkennen die Unermeßlichkeit meiner göttlichen Liebe, mit der ich Meinen Sohn in die Welt gesandt habe als Erlöser! Welche Verherrlichung wäre das für Mich!' - Diese Worte des Vaters hatten eine solche Wirkung auf mich, daß ich glaubte, ich müsse mich auf den Boden werfen, um in Dankbarkeit für das göttliche Geschenk des Erlösers immer vor dem Vater auf den Knien zu liegen. - Ja, Gott in der absoluten Wirklichkeit seiner Existenz zu erfahren, das ist etwas Erschütterndes.
Freilich, ganz kann die Unermeßlichkeit und Unendlichkeit der Wirkungen der Erlösungsakte den Menschen nicht erklärt, sondern nur im Himmel geschaut und hienieden in etwa in den Früchten erlebt werden. Es muß aber der Glaube an die Unermeßlichkeit und die göttlich-unendlichen Wirkungen der Erlösung neu geweckt und belebt werden" (15.3.1944).
"Christus kann auch ganz nach seinem Belieben und nach seinen Absichten eine Seele ganz und in besonderer, stellvertretender Weise dem allgemeinen Wohle seiner Kirche zur Verfügung stellen, indem Er diese Seele für ein besonderes geistiges Ziel befähigt, sie vor seinen Augen erhöht und eine besondere geistige Fruchtbarkeit erreichen läßt und sie dann nach seiner Gerechtigkeit wiederum als einen 'geistigen Schatz' seiner Kirche zur Verfügung stellt. Alles Gute ist ja in Ihm und durch Ihn erworben worden und ist und bleibt daher in gewissem Sinne sein Eigentum, das Er wiederum auch anderen Seelen zuwenden kann. Infolge seiner Einheit mit der Kirche und den Seelen gehört zudem alle Gnade in Ihm in einem wahren Sinne auch allen anderen Seelen und wird gleichsam auch deren Eigentum.
Auf diese Weise wurde mir durch den Heiland die Gnade der geistigen Mutterschaft verständlich und annehmbar gemacht. Weil sie mir vom Geiste Gottes in so einfacher und wie selbstverständlicher Weise erklärt und dargelegt wurde, wagte ich auch meinerseits in dieser Gesinnung der Einfachheit, auf die Annahme dieser Gnade einzugehen. Nur auf diese Weise konnte ich verstehen, daß und wie Christus einer Frauenseele eine so merkwürdige (selbstverständlich verborgene) Stelle in seiner Kirche zuweisen könne.
In gleicher Weise und mit gleichem Recht kann der Heiland eine bestimmte geistige Erneuerung (seiner Kirche) in einer Seele begründen, sie in ihr beginnen und vorzeichnen, und Er kann diese Seele dann als Opfer und Werkzeug seiner Absichten der Gesamtkirche übergeben und zur Verfügung stellen. – In diesem Sinne zeigte Er sich mir als der Herr aller Gnaden, als das Haupt der Kirche, in dem alle Gnade und Wahrheit ist, in dem alles Gute seinen Ursprung hat, von dem es ausgeht und weiterfließt zum allgemeinen Heile der Seelen. Es steht ganz bei Christus, in seiner göttlichen Allmacht eine Seele zum geistigen Heile der Allgemeinheit als Opfer und Werkzeug zu benützen, wann und wie er will und es Ihm gefällt" (14.7.1944).
Der Lebensweg Maria Sielers war ein Leidensweg. Gehört das Leiden in jedes Christenleben, dann umso mehr in das Leben mystisch begnadeter Seelen. Maria Sieler hat dabei eine sehr bittere Erfahrung machen müssen:
"Ich will selbst dein Kreuz sein, an dem du gekreuzigt wirst'; wiederholt hat mir das in den Jahren 1920 bis 1930 der Heiland angekündigt und es mich auch vorauserleben lassen. 'ER' das Kreuz – in so inniger Gemeinschaft mit Ihm! Welche Freude, welches Verlangen, welche verzehrende Glut weckten solche Versprechungen Jesu immer in meiner Seele!
Ach, wie langsam und zögernd schien Jesus mir seine Worte wahrzumachen in mir, da ich mich zuzeiten fühlbar verzehrte im Verlangen nach Leiden und nach Opfern für Ihn. All das Wenige aber, was ich selbst tun konnte, um mein Leidens- und Opferverlangen zu stillen, war wie ein Tropfen kalten Wassers auf einem heißen Stein.
Die liebeshungrige Seele meint, sie müsse selbst das Werk ihrer Heiligung vollbringen; es ist eine glühende Aktivität in ihr, die sich nicht genugtun kann, um Jesu Liebe zu erwidern und seinen einladenden Worten zu entsprechen. Und der Herr will dieses eigene Streben der Seele zur Aktivität gegenüber seinen Liebesforderungen. Das gibt der Seele Großmut und geistige Schwungkraft. Es sind gleichsam 'die ersten Ergüsse der Liebe' zwischen Jesus und der Seele, wie in einer seligen Verlobungszeit, in der ein Liebender den anderen gleichsam übertreffen will im gegenseitigen Versprechen der Liebe und Treue und im Wahrmachen des Versprochenen.
Später, wenn dann die Seele schon mit Ihm den Aufstieg nach Kalvaria begonnen hat, klingen seine Worte an die Seele härter und tiefer: 'Ich selbst will deine Kreuzigung vornehmen.' Die Hand des Herrn hat unterdessen die Seele schon schmerzhaft berührt in schmerzlichen Entblößungen, weil Jesus die Seele, jede Seele, 'allein' mit sich nimmt. Aber bei diesem ersten Aufstieg nach Kalvaria, wo es sich um Überwindung der niederen Höhen handelt, ist dies noch der süßeste Trost, daß es 'Seine Hand' ist, spürbar und fühlbar erlebt. Viel härter aber wird es, wenn seine (fühlbare) Hand sich zurückzieht; die Seele tritt dann in das tiefere Geheimnis des Kreuzes ein, wobei der Herr sich meist gewisser Umstände und Menschen bedient zur Läuterung und Heiligung der Seele.
Es braucht aber lange Zeit und vielleicht viele Jahre, bis die Seele ganz eingeht auf die Art und Weise, wie sich der Herr der Umwelt und der Menschen bedient und sie als seine unmittelbaren Werkzeuge benützt, mittels deren Er selbst sein Werk in der Seele vollbringt. Wie lange sträubt sich die arme Seele unwillkürlich gegen diese Art der Läuterung! Wie schwer empfindet sie es zunächst, sich von Menschen ihre Fehler sagen zu lassen, Ungerechtigkeiten hinzunehmen, gewisse Rechte sich entziehen zu lassen, die sie an sich behaupten und beanspruchen könnte, immerfort der 'Kleine', der Erniedrigte, kurz der Mensch zu sein, der in allem zu gehorchen, zu schweigen und sich nach den anderen zu richten hat!
Wenn aber bei all diesen 'Verkürzungen' des eigenen Rechtes die 'Hand der Menschen' eingreift, so ist es im Grunde doch der Herr selbst, der durch sie sein Werk in der Seele vollbringt, wobei diese in der Hauptsache nur passiv mitgehen kann. Der Übergang von der größeren Aktivität der Seele zu größerer Passivität besteht vor allem darin, daß die Heiligung der Seele nun mehr im harten 'Hinnehmen' als im liebevollen 'Geben' geschieht. Und dieses harte Hinnehmen fordert der Herr durch Menschen oder durch 'zufällige' Ereignisse und Umstände, in die sich die Seele hineingestellt sieht. Es wird eine herbe Selbstentäußerung an der Seele vorgenommen, aber es scheint nicht mehr die milde Hand des Heilandes daran beteiligt zu sein, sondern es sind 'Feindeshände', denen die Seele überliefert ist. Es scheint nicht mehr wahr zu sein das süße Wort, das einst so verlockend die Seele durchleuchtet hat: 'Ich selbst will diese Kreuzigung vornehmen!' Darauf hatte die Seele nur eine Antwort: 'Eben weil Du es bist, o wie gerne will ich mich kreuzigen lassen! Mach schnell, o Herr, eile und zögere nicht länger, denn Deine Hand ist süß, und in Dir und an Deinem Kreuze ruhe ich so gut!'
Aber nun zieht sich der Herr scheinbar zurück und läßt die Menschen das tun, was Er selbst zu tun versprochen hat. Welche Enttäuschung! Mit Freuden, so scheint es der Seele, würde sie die Entäußerung ihrer Rechte, ihrer Ehre usw. hinnehmen, wenn der Herr unmittelbar selbst das in ihr vornehmen würde — aber dieses Hinnehmen von Menschen, die vielleicht sittlich und religiös tiefer stehen oder denen man in manchem überlegen scheint: das scheint unerträglich zu sein. Und doch geht der Heiland gerade diesen Weg der Selbstentäußerung in den Seelen seiner Auserwählten.
Welch großen geistigen Fortschritt haben wir gemacht, wenn wir auch in all diesen 'mittelbaren Einwirkungen' nur die Hand Gottes sehen, uns wahrhaft ihr beugen, uns entäußern, reinigen, läutern und damit unmittelbar von ihr leiten lassen. Wie lange währt die Geduld des Herrn, bis wir ihn endlich verstehen, und welch lange Umwege muß Er wegen unseres Unverstandes in seiner Güte zum Zweck der Heiligung unserer Seele machen. Wollten wir rascher auf die Art seiner Führung eingehen, so könnten wir uns vielleicht manches von der Länge des Weges ersparen. Aber so töricht und widerspenstig ist der Mensch, daß er geradezu gezwungen werden muß unter das süße Joch Christi. Es fällt dem Menschen so schwer, den Herrn zu erkennen in all seinen liebevollen Fügungen und Handlungen zugunsten seiner Seele, in all dem, was nach den Absichten Gottes der Seele 'zum Fortschritt und zum Frieden dienen' soll. Welch große Gnade ist es, wenn Jesus einmal die Seele sein unmittelbares göttliches Wirken auch in den äußeren Umständen und Ereignissen erkennen und zu ihrem geistigen Fortschritt wirksam, ja gleichsam greifbar werden läßt. In diesem Falle wirkt aber dann schon ein unmittelbares Licht seiner Gnade, das für gewöhnlich durch einen langen, furchtbaren Opferweg in der Seele vorbereitet ist. Die Mehrzahl der Seelen geht wohl den langen Weg hochherziger Hingabe sowie Opfer- und Leidensbereitschaft im Dunkel der 'mittelbaren' Entäußerung und Läuterung durch Menschen und Umstände, wobei auch den Mächten der Finsternis eine gewisse Freiheit der Betätigung gegeben sein kann.
Mit dem Lichte jener großen Gnade leuchtet dann in der bedrängten Seele wieder das frohe Innewerden, ja das unmittelbare Erfassen der Hand Christi auf, die in allen Ereignissen unmittelbar, wenn auch verborgen, tätig war und in deren beglückender Nähe sich die Seele nun wiederfindet in ihrer freudigen, großherzigen Hingabe. An diesem Punkte angelangt, hat wahrlich jedes Opfer, jedes Leiden das Herbe verloren, mögen auch noch so viele mittelbare und verwickelte Umstände es veranlaßt und damit die Verwirklichung der vollen Hingabe der Seele an Gott gefördert haben. Nun versteht die Seele dankbar die liebevolle, gleichsam 'immer tätige' und in allem unmittelbar mitwirkende Hand Gottes, die sich nie genugtun kann, um die arme Seele zur unmittelbaren Nähe und Vereinigung mit Ihm zu führen" (24.7.1944).
"Das Höchste, Erhabenste und Ergreifendste in Christus war aber seine göttlich-menschliche Liebestätigkeit. Ja, man kann sagen: Das beherrschende Zentrum des gottmenschlichen Innenlebens Christi war seine Liebe, die von Anfang an freiwillig bereit war 'zu sterben'. Diese göttlich-menschliche Todesbereitschaft aus Liebe, die ständig und jeden Augenblick das Herz des Erlösers erfüllte, ist das Wunderbarste von allem Wunderbaren in Christus (soweit ich es bisher erlebte).
Der Erlöser, das göttliche Wort, kam und stieg herab, 'um zu sterben', noch genauer gesagt: um menschlich leben und mittels dieses menschlichen Lebens sterben zu können. — Die göttliche Selbsthinopferung stand im Mittelpunkt des Zweckes und Zieles der Menschwerdung. Diese göttliche Selbsthinopferung sollte ermöglicht werden durch die menschliche Natur, die der göttlichen Person die Mittel zu dieser Selbsthinopferung lieferte; denn Gott ist in sich leidens- und sterbensunfähig.
Im Gegensatz zum gewöhnlichen Menschenleben hatte das Erlöserleben Christi nicht einen Selbstzweck für die göttliche Person, sondern nur den Zweck für die Erlösung des gesamten Menschengeschlechtes. — Es liegt sonst in der menschlichen Natur, sich ein Leben für den eigenen Gebrauch und Nutzen zu formen. Der Mensch kann an sich sein Leben an niemand und für niemand 'abtreten'; es ist vielmehr seine individuelle Eigenheit und sein unveräußerliches Eigentum. Selbst die Mutter, die neues Leben gibt, erfüllt damit ihren eigenen Lebenszweck, der eben darin besteht, anderen das Leben zu geben, und sie findet darin ihre eigene Genugtuung. Und wenn ein Mensch oder ein Held sein Leben freiwillig für die Mitmenschen opfert, so hat er doch vor dieser Selbsthingabe sein Leben für sich gelebt und genossen (im guten Sinn): Zudem bleibt sein Opfer, so edel es sein mag, doch ein menschliches, beschränktes Opfer. — Nur im Erlöser besteht die göttliche Tatsache, daß Er einzig und allein um der gefallenen Menschheit willen das Menschenleben angenommen hat, und zwar in seiner Liebe es nur angenommen hat zum Zwecke der selbstlosen Hinopferung für die Menschen, also zum Zweck der Zerstörung dieses Lebens. Im Menschenleben Christi war also in einem gewissen Sinne das Erste in seinen Gedanken und Absichten dies, was in unserem Leben das Letzte ist, nämlich das Sterben, das Christus freiwillig wählte und in seiner Liebe zum Hauptzweck seines Lebens machte, während wir Menschen den Tod gezwungen auf uns nehmen und den Gedanken daran nach Möglichkeit fliehen" (14.101944).
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Schau auf die Kirche
Man beachte, daß das Folgende im Jahre 1946 niedergeschrieben ist, also zu einer Zeit, da man ganz allgemein eine neue Blütezeit der Kirche erwartete. Maria Sieler erkannte damals schon die 'schwachen Stellen' in der Kirche. Heute müssen wir zugeben, daß sie nur allzu recht gehabt hat.
Sie schreibt:
"In der vergangenen Nacht hatte ich — nach großen inneren Leiden — ein inneres Schauen und Erkennen über die gottgewollte geistige Machtstellung der Kirche ...
Heute schwindet auch in der Kirche vielfach das dem Gerichte Gottes unterworfene Schuld- und Sündenbewußtsein. In einem äußerlich geordneten Verwaltungsapparat sieht man weithin zu ausschließlich auf 'äußere Ordnung' in der Kirche, und man meint, damit der sich auf Christus stützenden Tradition zu genügen.
Ich schaute, wie die einzelnen Priester in einem erschreckend hohen Maße sich ablösen von der wahren, durch Christus grundsätzlich gestifteten und von Ihm als verpflichtend gegebenen Tradition, die in erster Linie und hauptsächlich eine moralische Umwandlung der einzelnen Glieder der Kirche vorsieht. Man hält die christliche Lehre zwar hoch, aber man wertet sie nicht tief genug aus in ihren moralischen Inhalten und Forderungen.
So herrscht heute eine gewisse allgemeine Verflachung in der Auslegung und Darlegung der von Christus gebrachten und von Ihm gewollten Sittenlehre.
Man deutet auch das folgende Wort Christi zu ausschließlich im Hinblick auf das äußere Ziel, nämlich das Wort: 'Die Mächte der Unterwelt werden sie — die Kirche — nicht überwältigen' (Mt 16,18). In einer nicht ganz richtigen Auslegung dieses Wortes gibt man sich vielfach einer falschen Ruhe hin, indes die Machenschaften und Kunstgriffe der Hölle in ungeheurer Weise in den einzelnen Seelen überwältigend und vernichtend wirken. Weitgehend — so schaute ich — verwechselt man eine innerlich in Christuswachsende und blühende Kirche mit einer äußeren, gutgegliederten und gestützten Organisation. Die äußere 'Ruhe und Wohlgeordnetheit' ist aber ein falsches Spiel der Hölle. Ich schaute ein böses Ungeheuer mit weitaufgesperrtem Rachen sich gegen das Papsttum stürzen, um es zu verschlingen. Ob der Herr den äußeren Angriff dieses bösen Ungeheuers abwehrt oder ob Er es wirklich zu einem äußeren Kampfe kommen läßt, um eine Säuberung und Scheidung der Geister herbeizuführen, das kann ich nicht unterscheiden.
Der Herr will aber auf alle Fälle die Lehrverkündigung mit Bezug auf die Sitten vertieft haben; denn mit der heute weithin üblichen Auslegung und Darlegung dieser Lehre erreicht man im allgemeinen keine moralische Hebung der einzelnen Seelen. Christus will seine Kirche zur 'Quelle' hinführen, zu einer allgemeinen Vertiefung, um die heutigen Wunden der Kirche zu heilen und den drohenden Abgrund zu überbrücken. Dadurch, daß man die Seelen hochreißt und höher hebt, wird es ihnen möglich, das Morsche und Schadhafte zu 'überspringen' und 'unten' zu lassen.
Ich schaute ferner die erschütternde Bedeutung der Wahrheit, daß ein Gott nicht umsonst Mensch geworden ist oder Mensch werden wollte. Die Tatsache der Menschwerdung hat vielmehr sehr ernste Folgerungen für die Menschheit. Es bleiben auch heute die gleichen Forderungen bestehen, durch die Christus selbst seine Apostel zu 'neuen Menschen' umgeformt hat.— Ich sah den heutigen Papst sterben gleichsam auf den Trümmern der in einen großen Kampf geratenen 'Kultur', die man vielfach mit dem Christentum verwechselt. Ob mir dies nur als geistiges, symbolisches Bild vorgeführt wurde oder ob es zu einer erschütternden Wirklichkeit wird, weiß ich nicht.
Die Menschwerdung, die ihre Ursache im Sündenfall im Paradiese hatte und durch die Christus den Sündenfall wiedergutmachen wollte, soll eine aktuelle und wirkliche Umwälzung in den einzelnen Seelen zur Folge haben.
Heute hat sich in der Kirche ein organisiertes Lehrsystem ausgebildet, das zuwenig auf die Folgerungen und auf die notwendige Umwandlung der Geister Bezug nimmt und das in der gut organisierten, systematischen Lehrverkündigung allein eine Glanzzeit der Kirche sieht, während die Seelen tatsächlich dabei 'leer' bleiben. Der heutige, hochkultivierte und verfeinerte Mensch versteht es ja gut, in sich selbst die Konsequenz der christlichen Lehre durch seine eigene feine Geistesrichtung zu verfälschen und sich den wahren Folgerungen und Forderungen der Glaubenslehre zu entziehen.
Ich schaute, wie das persönliche Schuldbewußtsein und damit der Bußgeist in ganz großem Ausmaß geschwunden sind. Ich wurde hingewiesen auf das Wort: 'Mein Reich ist nicht von dieser Welt' (Joh 18,36), das heißt: Es ist ein Reich des Geistes in den Seelen. Dieses Reich wird nach außen in der Organisation der Kirche sichtbar, aber man darf es nicht mit falscher Ruhe und 'Ordnung' verwechseln. Das Corpus Christi mysticum ist das Wachstum Christi in den Seelen mit seinen vielfachen gottmenschlichen Vollkommenheiten. Der Gottmensch will eine moralische Umwälzung und ein sittliches Wachstum in den Seelen hervorbringen und sich damit ständig in der Kirche mit seinen sittlichen Vollkommenheiten gleichsam 'erneuern'" (26.12.1946)
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